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180 Von der Tiroler Landeseinheit bis zum Tod Kaiser MaximiliansÂ
I. (1519)
Cusanus’
Predigten als
populäre Para-
phrasen seiner
Philosophie
Inhalt Cusanus war gerade erst zwei Tage in Brixen, als er am Karfreitag des Jahres 1452
etwas für die damaligen Verhältnisse sehr Ungewöhnliches tat : Er predigte. Seine
Vorgänger auf dem Brixner Bischofsstuhl hatten zwar eine hohe Meinung von Sinn
und Wert der Predigt, ĂĽberlieĂźen ihre AusfĂĽhrung aber lieber dem untergeordne-
ten Seelsorgeklerus. Cusanus dagegen demonstrierte mit seinem Predigteifer von
Beginn an den Willen, in seiner Diözese gestalterisch zu wirken (Pauli 1995). Die
Brixner Predigten bilden den größten Teil des Predigtcorpus von Cusanus. Wäh-
rend er vor seiner Zeit als Bischof nur unregelmäßig als Festprediger auftrat, konnte
er sich nun erstmals über längere Zeit einem im Wesentlichen gleichbleibenden
Publikum widmen. Aus den sechseinhalb Jahren seiner Brixner Zeit sind insgesamt
167, z.T. umfangreiche lat. Konzepte von Predigten erhalten. Dass diese EntwĂĽrfe
lat. sind, bedeutet allerdings nicht, dass Cusanus tatsächlich lat. gepredigt hat. Im
Predigtwesen des Mittelalters – zumindest im deutschsprachigen Raum – war es
der Normalfall, lat. zu konzipieren und in der Volkssprache zu sprechen. Dabei
darf man nicht an eine Übersetzung während der Predigt denken. Die lat. Kon-
zepte hatten vielfach nur den Status einer Ideensammlung. Bei Cusanus war das
i.A. nicht anders. Der Grad der Ausarbeitung seiner EntwĂĽrfe ist aber verschieden.
Einige sind bis in die Anreden hinein ausformuliert, so z.B. die Predigt vom Vor-
abend des Allerheiligenfestes 1456 (serm. 249). Anlass und Ort variieren. Cusanus
predigte zur Eröffnung von Diözesansynoden, zu Festen des Kirchenjahres oder
zur Einweihung einer Kapelle ; in seiner Bischofskirche in Brixen, in Bruneck oder
auch in dem abgelegenen Bergdorf Prettau (zur erwähnten Einweihung der dorti-
gen Kapelle). Die überwiegende Zahl, nämlich 141 der 167 Entwürfe, wurden aber
in Brixen gehalten, in den meisten Fällen beim sonntäglichen Gottesdienst. Im
Publikum saĂźen dabei das Domkapitel (praelati), der ĂĽbrige Domklerus (presbyteri)
und die Stadtbewohner (incolae huius urbis).
Inhaltlich gibt es viele Anklänge an das philosophische Werk. Wichtige Kon-
zepte werden hier aber theologischer, christlicher gedacht. Cusanus’ erste Referenz
ist in den Predigten die Bibel, nicht die philosophische Tradition. Man kann den
Inhalt der sermones in vier Grundfragen zusammenfassen : 1. Was ist Gott ? 2. Wa-
rum hat Gott den Menschen geschaffen ? 3. Warum ist Gott zum Menschen ge-
worden ? 4. Was ist bei all dem die Aufgabe des Menschen ? Die Antworten, die
Cusanus darauf gibt, sind im Grunde eine evangelische Paraphrase seines ontolo-
gisch-epistemologischen Systems. Gott ist als das unendliche Eine seinem Wesen
nach verborgen. Der Mensch aber ist durch seinen Geist gottähnlich (z.B. serm.
174 ; vgl. serm. 168,8,4 : quasi alius deus, „gleichsam ein zweiter Gott“) und kann
sich deshalb der Erkenntnis Gottes annähern. Zur Vollkommenheit Gottes gehört
auch die Mitteilung seiner selbst. Gott hat den Menschen geschaffen, um sich ihm
zu offenbaren (z.B. serm. 168 und 187). Die Menschwerdung Christi ist der Beweis
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Volume 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- TYROLIS LATINA
- Subtitle
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Volume
- 1
- Authors
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Editor
- Karlheinz Töchterle
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 602
- Keywords
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Ăśberblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593