Page - 183 - in TYROLIS LATINA - Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Volume 1
Image of the Page - 183 -
Text of the Page - 183 -
Philosophie 183
LebenDas
Leben von Paulus Ricius liegt insbesondere in seinen ersten Jahrzehnten im
Dunkeln (vgl. Tilg 2006b). Manche lassen ihn aus Italien, manche aus Deutschland
kommen. Laut Wurzbach wohnte seine Familie seit dem 14. Jh. „an den italie-
nisch-tirolischen“ Grenzen ; andere sprechen von einem deutschstämmigen Vater
aus Trient.6 Wie dem auch sei, Ricius studierte Philosophie und Medizin an der
Universität Pavia, wo er anschließend auch eine Zeit lang unterrichtete. In dieser
Zeit konvertierte der geborene Jude – wohl unter dem Einfluss des in Pavia leh-
renden portugiesischen Franziskaners Gomes de Lisboa – zum Christentum. Ein
reizvolles Zeugnis für Ricius’ Zeit in Pavia ist ein Gedicht von Niccolò d’Arco, der
selbst um 1504 in Pavia studierte und sich bei Ricius nun in Hendekasyllaben nach
gemeinsamen Bekannten von damals erkundigt (Welber 1996, Nr. 72). Vielleicht
waren es die in Oberitalien gefĂĽhrten italienischen Kriege, die Ricius schlieĂźlich
vertrieben und nach Tirol brachten. Spätestens 1514 stand er in den Diensten des
Fürstbischofs von Brixen, Christoph von Schrofenstein (reg. 1509–1521). Um
diese Zeit dĂĽrfte sein bis heute bekanntestes Werk, eine lat. TeilĂĽbersetzung des
kabbalistischen Traktats Scha’are Ora („Pforten des Lichtes“) des Spaniers Joseph
Gikatilla (1248–1305), entstanden sein. Bald wurde auch Kaiser Maximilian auf
den gelehrten Konvertiten aufmerksam, von dessen Kenntnis der jĂĽdischen Mys-
tik und Literatur er gerade im Kontext des „Pfefferkorn-Streits“ (s.u.) profitieren
konnte. Abgesehen davon hatte Maximilian auch eine Schwäche für Geheimwis-
senschaften und medizinische Themen (Wiesflecker 1971–1986, Bd. 3, 330–339),
sodass Ricius fĂĽr ihn vielseitig einsetzbar war. Noch im Jahr 1514 wurde Ricius als
Leibarzt Maximilians an den Innsbrucker Hof berufen. Bis zu Maximilians Tod
1519 finden wir Ricius in der Gesellschaft prominenter Humanisten im Umkreis
des kaiserlichen Hofs : Er war zumindest zeitweilig Mitglied der Wiener Sodalitas
Collimitiana ; fĂĽr die 1518 von Pietro Bonomo herausgegebene Gedichtsammlung
bedeutender Humanisten an den Tiroler Sekretär Kaiser Maximilians, Blasius Hölzl
(vgl. hier S.Â
91–93), verfasste Ricius einen Geleitbrief an den Leser ; im Umfeld des
im selben Jahr abgehaltenen Augsburger Reichstags beriet er Ulrich von Hutten
bei einer Therapie gegen die Syphilis. Um 1518 soll sogar der französische König
Franz I. erfolglos versucht haben, Ricius an den Pariser Hof zu ziehen. Nach dem
Tod Maximilians dürfte Ricius zunächst in die Dienste des Salzburger Kardinals
Matthäus Lang getreten sein, in dessen Gefolge er schon vorher öfter auftaucht. In
Willibald Pirckheimers 1520 erschienener Satire Eckius dedolatus („Der zurechtge-
hauene Eck“) wird Ricius jedenfalls als Arzt Langs bezeichnet (vgl. Holzberg 1983,
13–16). 1521 kehrte er – offenbar nicht allzulang – nach Pavia zurück, um dort
Griechisch und Hebräisch zu lehren. Spätestens seit 1524 war Ricius wieder in
6 Vgl. Wurzbach 35, 280 und 290 ; Killy 9, 444 ; NDB 21, 547.
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Volume 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- TYROLIS LATINA
- Subtitle
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Volume
- 1
- Authors
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Editor
- Karlheinz Töchterle
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 602
- Keywords
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Ăśberblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593