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Philosophie 185
Vorwort
Portae lucis
beim Tanzen zu. Da macht Philaletes den Vorschlag, zum Theologen Gometius â Riciusâ
einstigem Lehrer â zu gehen und sich mit ihm ĂŒber das Heil der Seele zu unterhalten. Um
auch seinen epikureischen Bruder Philosomatus zu ĂŒberzeugen, erzĂ€hlt er ein Gleichnis :
Eine Hirtin erblickt in einem Bach das Spiegelbild eines wunderschönen Mannes. Sie hebt
die Augen und sieht die Erscheinung dieses Mannes nun klarer auf der Höhe eines Berges.
Sie lĂ€uft hinauf, bis sie zu ihm kommt und er sie in seine Arme schlieĂt. So sei es auch mit
der Seele, die zu Gott strebe. Philadelphus und Philosomatus können dieser âmystischen
Hochzeitâ im Rahmen der peripatetischen Philosophie zunĂ€chst keinen Sinn abgewinnen
und begeben sich deshalb zu Gometus. Dieser fordert nun aber regelrecht zum Gebrauch
aristotelischer Begriffe auf und fĂŒhrt die BrĂŒder so zur Erkenntnis, dass sich aristotelische
Philosophie und Glaubenswahrheit nicht widersprechen. Im Mittelpunkt der Diskussion
steht die Lehre von der christlichen TrinitÀt, wie sie im apostolischen Glaubensbekenntnis
von NizĂ€a festgehalten ist. Sie wird u.a. durch einen RĂŒckgriff auf pseudoaristotelische,
neuplatonisch gefĂ€rbte Schriften wie den Liber de causis (âBuch der Ursachenâ) oder die
Theologia Aristotelis (âDie Theologie des Aristotelesâ) als Emanation des Einen erklĂ€rt. Da-
neben werden z.B. auch die aristotelische Topik oder die Kategorien fĂŒr die Argumentation
eingesetzt. In diese philosophische Diskussion mischt sich immer wieder kabbalistisches
Gedankengut. So bringt Ricius die zehn Kategorien des Aristoteles in Entsprechung zu
den zehn Sephiroth, den Emanationen der göttlichen Kraft in der Kabbala.7
Zur Verteidigung des Aristoteles in diesem Dialog passt auch das lobende Vorwort.
Es stammt von dem zu seiner Zeit bedeutendsten Aristoteliker ĂŒberhaupt, dem in
Bologna lehrenden Pietro Pomponazzi (1462â1525). Ricius hatte ihn wĂ€hrend sei-
ner Studienzeit wahrscheinlich selbst gehört und mit ihm Bekanntschaft geschlos-
sen. In seinen Kommentaren zu Averroes hat Pomponazzi ĂŒbrigens auch auf eine
Averroes-Ăbersetzung von Ricius zurĂŒckgegriffen (Secret 1976, 284).
Riciusâ bedeutendste Schrift ist die lat. TeilĂŒbersetzung eines der Hauptwerke
der mittelalterlichen Kabbala, der Schaâare Ora (âPforten des Lichtesâ) des Spaniers
Joseph Gikatilla (1248â1305), erschienen unter dem Titel Portae lucis in Augsburg
1516 (vgl. Abb. 27). Zum ersten Mal wurde damit ein lÀngerer kabbalistischer Text
der christlichen Ăffentlichkeit zugĂ€nglich gemacht.
Die Portae lucis sind ein systematischer Traktat ĂŒber die im Buch Zohar beschriebenen Stufen
der göttlichen Emanation, die Sephiroth. Zu ihrer Interpretation werden v.a. die verschie-
7 Die Frage nach EinflĂŒssen von Cusanus bei Ricius wĂ€re einmal zu stellen. BerĂŒhrungspunkte gibt es
etwa im Konzept der TrinitÀt und der Einheit von Subjekt und PrÀdikat in Gott. Bei Meier-Oeser
1989 sind eine Reihe von Cusanus-Rezipienten im geistigen Umfeld von Ricius erwÀhnt (Reuchlin,
Eck, Postel u.a.), Ricius selbst aber nicht.
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Volume 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- TYROLIS LATINA
- Subtitle
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Volume
- 1
- Authors
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Ć ubariÄ
- Editor
- Karlheinz Töchterle
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 602
- Keywords
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Ăberblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Ć ubariÄ) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Ć ubariÄ) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Ć ubariÄ) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur GrĂŒndung der UniversitĂ€t (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Ć ubariÄ) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Ć ubariÄ) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593