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Medizin und Naturwissenschaft 197
Osbaldt von Wolckenstain : Ex melle, cervisia et bolo armeno fiat emplastrum quod ponatur
super dolorem podagrico per 4 vel 5 dies et pro certo tolletur omnis dolor, sed emplastrum non
debet mutari.
Oswald von Wolkenstein : Man mache ein Pflaster aus Honig, Bier und armenischer Sie-
gelerde und lege es dem Gichtkranken vier oder fĂĽnf Tage lang ĂĽber die schmerzende Stelle
und alle Schmerzen werden garantiert verschwinden, aber das Pflaster darf nicht gewech-
selt werden.
Manche von diesen Rezepten werden zu Anekdoten oder regelrechten Schwänken
ausgebaut, so z.B. die Heilungsgeschichte des von Syphilis befallenen Kardinals Mat-
thäus Lang, dem wegen seiner Krankheit gemäß der medizinischen Theorie Weinge-
nuss verboten war (Bl. 291r) :
Nota : Cardinal Lang mihi retulit se vidisse quod dum post unctiones diversas passus sit maximos
dolores tibiarum ita quod multis diebus omnino non potuit dormire tum ex desperatione dixit :
Ego volo me inebriari vino et videre an possum saltem dormire semel, ut sequatur quid velit.
Quod fecit ita quod in tantum biberit quod inebriabatur fortiter et deinde dormivit. Postea
sequenti die nullum dolorem sensit et sic omnino curatus fuit ab hoc dolore et durabat sanitas
usque huc, scilicet in septindecimum annum. Nam in decimo inebriavit se et nunc scribitur 1517.
Merke : Der Kardinal Lang erzählte mir, dass er, als er nach der Anwendung verschiedener
Salben an den Schienbeinen größte Schmerzen litt, sah, dass er viele Tage lang nicht schla-
fen konnte, und aus Verzweiflung sagte : „Ich will mich mit Wein betrinken und schauen,
ob ich wenigstens einmal einschlafen kann, komme, was da wolle.“ Das tat er, indem er so
viel trank, dass er stark betrunken wurde und dann einschlief. Danach, am nächsten Tag,
spürte er keine Schmerzen und wurde auf diese Weise gänzlich geheilt von diesem Schmerz
und seine Gesundheit dauert bis jetzt, d.h. bis zum Jahr ’17. Denn er hat sich ’10 betrun-
ken und jetzt schreibt man das Jahr 1517.
Doch nicht nur berühmte Personen und gelehrte Ärzte, sondern auch Gewährs-
leute aus dem Volk werden zitiert, z.B. quedam vetula deridens alios medicos doctores
qui non potuerunt frangere lapidem (Bl. 111r ; „eine Vettel, die andere Doktoren der
Medizin auslachte, welche den Blasenstein nicht zertrümmern konnten“). Inter-
essant ist auch folgende Notiz : Rusticus quidam ex Zillers Tall habuit experientiam
curandi omnem rupturam intestinalem in 9 diebus (Bl. 170r ; „Ein Bauer aus dem
Zillertal hatte das Erfahrungswissen um das Heilen jedes inneren Bruchs innerhalb
von neun Tagen“). Durch derartige Bemerkungen ist die Sammlung auch für die
Kenntnis der Volksmedizin im spätmittelalterlichen Tirol von großer Bedeutung.
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Volume 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- TYROLIS LATINA
- Subtitle
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Volume
- 1
- Authors
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Editor
- Karlheinz Töchterle
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 602
- Keywords
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Ăśberblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593