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238 Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog FerdinandsÂ
II. von Tirol (1595)
Entwurf einer
Grabinschrift
‚kritische
Panegyrik‘ Lehrstühle an den Universitäten Ingolstadt, Tübingen und Greifswald erhielt. 1556
starb er in Lauingen an der Donau (Jordan 1917, 290–296 ; Dörrer 1943). Hatte
er in den bei Steinmayr abgedruckten Gedichten noch um eine Anstellung als Hof-
poet gebeten (Steinmayr 1935, 127–131, Diskussion 109–111), so waren seine
Bemühungen mittlerweile von Erfolg gekrönt worden : In der Widmungsepistel
erwähnt er, er habe bereits ein ganzes Jahr auf Kosten des Bischofs gelebt.
Die Elegie selbst beginnt mit einer Anrufung der Pietas, die gemeinsam mit Bernhard
um den Verstorbenen trauern soll (V. 1–12). Hierauf werden der älteste Bruder Balthasar
und die Ehefrau des Toten genannt, die mehr Tränen vergießt, als Hektor in Troja zuteil
wurden (V.Â
13–30). Sie verzweifelt nicht nur angesichts des Verlustes ihres Gatten, sondern
sorgt sich auch um das Schicksal ihres Sohnes Aliprando, auf dem nun die Zukunft des
Geschlechts ruht (V. 31–44). Ihm erteilt der Dichter einige gute Ratschläge (V. 45–56),
bevor er verschiedene Gottheiten, z.B. die Musen und die Grazien dazu auffordert, dem
Verstorbenen das letzte Geleit zu geben (V.Â
57–66).
Auf das Gedicht folgt in der Hs. noch ein fünf Distichen langes Grabepigramm,
das in konventioneller Manier den tadellosen Lebenswandel Jakobs preist und ihm
einen Platz im Paradies verspricht. Vielleicht wollte der Autor dem Bischof hiermit
nicht nur eine Hommage auf seinen Bruder, sondern auch einen konkreten Vor-
schlag für die am Grab Jakobs anzubringende Inschrift vorlegen (Gritsch 1988, 75).
Ein sonderbares Stück Panegyrik – wenn man es überhaupt noch so nennen
möchte – ist eine 102 Verse lange anonyme Elegie in der Hs. BCT, ms. 299. Ob
der Adressat Bernhard von Cles oder Cristoforo Madruzzo ist, wird nicht klar, doch
spricht mehr für jenen. Die Aussage, der Betreffende amte gemino pedo (V. 14 ;
„mit doppeltem Bischofsstab“), trifft zwar auf beide zu – Cles betreute in seinem
Todesjahr 1539, Cristoforo seit 1542 auch das Bistum Brixen –, große Betrieb-
samkeit (s.u.) und häufige Teilnahme an Reichstagen (V. 9–10) wird man jedoch
eher Cles als Cristoforo attestieren, der nur 1541 in Regensburg dabei war (Costa
1977, 144, 151). Akzeptiert man dieses Argument, wäre der Text damit zugleich
genau auf 1539 datiert. Der Autor tadelt zuerst (V. 1–38) den Fürstbischof wegen
dessen übermäßiger Umtriebigkeit, die er auf „irre Lust an Lob“ (V. 17 ; laudis
vaesana libido) und „brennenden Durst nach Ehren“ (V. 19 ; sitis aspera honorum)
zurückführt. In einem zweiten Teil (V. 39–102) lobt er und wählt für sich selbst
das bescheidene Leben des Weisen, das er den Irrwegen seiner Zeit gegenüberstellt.
Dieser Befund wirft zwei Fragen auf. Erstens : Gehören die beiden Teile überhaupt
zusammen ? Falls ja, muss man annehmen, dass der Autor die eigene Lebenswahl als
Gegenbild zur Rastlosigkeit des Fürstbischofs konzipiert hat. Eine solche Beziehung
zwischen den beiden Teilen bleibt jedoch gänzlich implizit, und die Möglichkeit,
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Volume 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- TYROLIS LATINA
- Subtitle
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Volume
- 1
- Authors
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Editor
- Karlheinz Töchterle
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 602
- Keywords
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Ãœberblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593