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Dichtung 241
konzeptionelles
Unikum
drei EinzelstĂĽcke
toforo Madruzzo bei. Nimmt man die Adressaten der einzelnen StĂĽcke hinzu, so
ist hier wohl ein guter Teil der zeitgenössischen Dichterszene zwischen Trient und
Verona vertreten. Inhaltlich herrscht ebenfalls groĂźe Vielfalt : Die Gedichte bieten
Panegyrik, u.a. an Bernhard von Cles, Cristoforo und Karl V., Freundschaftspoesie
(wobei v.a. die poetischen Leistungen des jeweiligen Adressaten – meist Vargnano
selbst : z.B. 5, 21–24, 29–31, 49, 54–55 – gepriesen werden), Geistliches, Bukolik,
Lehrdichtung, Invektive, Erotisches und Obszönes. Metrisch beschränken sie sich
allerdings auf das Geläufige : Hexameter, Distichen, Hendekasyllabi, sapphische so-
wie je einmal alkäische Strophen und Jamben. Erstaunlich ist eine Fülle metrischer
Fehler, durch die im Extremfall sogar fraglich werden kann, um welches Metrum es
sich überhaupt handelt (119–120). Was das in einem humanistischen Milieu, dem
immerhin Niccolò d’Arco angehört, zu bedeuten hat, ist unklar.
Doch wie bescheiden das literarische Niveau der Sammlung auch sein mag – kon-
zeptionell stellt sie ein interessantes Unikum dar. Auf den ersten Blick vergleichbare
Blütenlesen wie den Codex Fuchsmagen und die Gedichte für Blasius Hölzl (vgl.
hier S. 85–89 und 91–93) eint der gemeinsame Bezug aller oder doch der meisten
Gedichte auf einen Adressaten, der im ersten Fall sogar fĂĽr die Zusammenstellung
verantwortlich ist. Die Disparatheit ist dort allenfalls Begleiterscheinung, nicht wie
hier konsequent durchgefĂĽhrtes Programm. Woher Vargnano die Idee zu einem
solchen Konglomerat bezogen hat, lässt sich nicht mit Sicherheit angeben. Eine
vage Inspiration könnte Catull geboten haben. Als Veroneser lag er Vargnano schon
geographisch nahe, und wie bei seinem buntscheckigen Corpus besteht auch beim
Quodlibetum der Schlussteil (ab 91) groĂźteils aus Epigrammen.
Drei längere Gedichte seien kurz hervorgehoben. Das erste ist eine am Garda-
see angesiedelte, Niccolò d’Arco gewidmete Ekloge Jacopo Vargnanos, die nach
einer Einleitung durch den Erzähler einen Dialog zwischen den zwei jungen Hir-
ten Thyrsis und Alcon wiedergibt. Die beiden besingen abwechselnd in Vierzeilern
ihre recht zahlreichen Geliebten (32–35). Beim zweiten, das ebenfalls von Jacopo
stammt, handelt es sich um ein Epyllion ĂĽber den Bethlehemitischen Kindermord,
das er schon in früher Jugend um 1525 verfasst hat (41–48, vgl. Panizza 1884,
161) ; durch Blattverlust fehlen zwei Seiten (43–44). Der ungenannte Autor des
dritten Stücks (66–78) richtet in etwa 270 Hexametern eine Fülle von Ratschlägen
an seine Tochter, die gerade verheiratet wird, um sie zu einer guten, sittsamen Ehe-
frau zu erziehen. Da er auch einige persönliche Informationen über sich selbst gibt
(68 ; er ist ein Selfmademan, der eine militärische Karriere gemacht hat), können
wir annehmen, dass Situation und Adressatin real sind. Literarisch ist das Gedicht
allenfalls Durchschnitt. Der Autor könnte sich mit seinem Thema eigentlich in die
Tradition der antiken und nlat. Lehrepik stellen, scheint sich dieser Möglichkeit
aber nicht bewusst. Gelegentlich blitzt unfreiwilliger Humor auf, so etwa beim fol-
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Volume 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- TYROLIS LATINA
- Subtitle
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Volume
- 1
- Authors
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Editor
- Karlheinz Töchterle
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 602
- Keywords
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Ăśberblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593