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Beredsamkeit 299
Zusammen-
fassung,
Charakterisierung
Ansprache vor der
Preisverleihung
Reden zu
kirchlichen Festen
Die erste Rede (Bl. 17r–18r) dient als Einleitung, die zweite (Bl. 18r–21v) wird
gegen, die dritte (Bl. 21v–26r) für die Dichtung gehalten – wobei passenderweise
auch mithilfe von Dichterzitaten argumentiert wird –, in der vierten (Bl. 26r–28r)
verkündet ein Schiedsrichter das Urteil, das zugunsten der Angeklagten ausfällt (al-
lerdings betont der Richter stärker als der dritte Redner den religiösen Aspekt der
Frage und unterscheidet schärfer zwischen guten und schlechten Dichtern, sodass
sein Urteil auch als eine Art Kompromiss zwischen den entgegengesetzten Stand-
punkten verstanden werden kann). Die zwei längeren Hauptreden – die siegreiche
dritte ist nochmals länger als die zweite – werden also von den kürzeren, Einleitung
und Urteil, gerahmt. Die einzelnen Reden sind thematisch weitgehend konven-
tionell und beziehen ihren Stoff aus dem Toposvorrat der seit Platon gefĂĽhrten
einschlägigen Debatten, die auch im 16. Jh. durchaus aktuell waren (Hess 1994,
646–647 ; Murray 1996, v.a. 24–32) : Gegen die Dichtung wird angeführt, sie ver-
breite Lügengeschichten, enthalte Obszönitäten und sei mit dem Christentum un-
vereinbar, zu ihren Gunsten, sie sei die Mutter aller KĂĽnste und verkĂĽnde durch
den Mund göttlich inspirierter Poeten allegorisch verbrämte Weisheit, während ihr
heidnischer Inhalt der betreffenden Zeit anzulasten sei (hier wird en passant klar,
dass es in erster Linie um antike Dichtung geht). Nur die auf Bl. 20r vorgebrachte
Idee, das Überhandnehmen der Poesie sei für den Untergang des Römischen Rei-
ches verantwortlich, wirkt originell. Der ĂĽberkommene Inhalt wird jedoch gelehrt
und rhetorisch effektvoll präsentiert.
Unmittelbar nach der vierten Rede folgt die wohl vom selben Redner gehaltene
kurze Ansprache Iudex ante praemiorum distributionem („Der Schiedsrichter vor
der Preisverleihung“ ; Bl. 28rv), die im Codex ebenfalls ein Unikum ist. Sie schließt
mit der Aufforderung an einen JĂĽngling, wohl wieder einen SchĂĽler, diejenigen
vorzulesen, die sich bei den PrĂĽfungen ausgezeichnet haben, und sie nach vorne
zu bitten.
Die drei in der Hs. enthaltenen Reden zu kirchlichen Festen – zwei Weih-
nachts-, eine Osterrede17 – unterscheiden sich nicht nur inhaltlich durch ihre The-
matik und zahlreiche biblische Exempla, die den antiken zur Seite treten, sondern
auch formal deutlich von den Eröffnungsreden : Sie sind weniger klar gegliedert,
argumentieren nicht so stringent wie jene und beschränken sich in stilistischer
Hinsicht nicht darauf, ciceronianische Perioden zu bauen : Viele Passagen stehen
in einem hymnischen Stil, der sich durch Rhythmisierung, Ketten von Epitheta
und kurzen Relativsätzen, Antithesen, Oxymora und Apostrophen an die Hörer
17 Sowohl auf die erste Weihnachts- als auch auf die Osterrede folgen Hexametergedichte zum selben
Thema (vgl. hier S. 229), die wohl im Anschluss an jene vorgetragen wurden : eine Gegenüberstel-
lung von und, wenn man so will, ein Wettstreit zwischen Prosa und Dichtung, Redner und Dichter.
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Volume 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- TYROLIS LATINA
- Subtitle
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Volume
- 1
- Authors
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Editor
- Karlheinz Töchterle
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 602
- Keywords
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Ăśberblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593