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304 Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog FerdinandsÂ
II. von Tirol (1595)
Gattung,
Intention Die meisten Menschen wählen ihren Beruf zu unüberlegt : so auch beim Gelehrtenleben,
für das viele sich nur aufgrund seiner scheinbaren Annehmlichkeiten entscheiden. Geizkof-
ler will mit seiner ungeschönten Darstellung Ungeeignete von der Wissenschaft abschre-
cken und damit zugleich den Gelehrten beim Volk zu einer besseren Reputation verhelfen
(Bl. 337r–340r). Die eigentliche Darstellung der miseriae gliedert sich in drei Hauptpunkte :
a) äußere, insbesondere finanzielle Schwierigkeiten (Bl. 340r–346r) : Ein Studium ist ein
sicherer Weg zur Armut. Studenten müssen ihre elend bezahlten Professoren unterstützen,
teure Bücher kaufen und hohe Reisekosten aufbringen ; an ihrem Studienort werden sie von
Kaufleuten, die ihnen Geld aus der Heimat bringen sollten, sowie von ihren Wirten betro-
gen. Nach Beendigung ihrer Studien sehen sie sich, arm und bereits in fortgeschrittenem
Alter, vergeblich nach einer Frau um. Finden sie doch eine, so ist es ihnen meist nicht mehr
vergönnt, ihre Söhne heranwachsen zu sehen. b) körperliche Strapazen (Bl. 346r–356r) :
Hierunter fallen Züchtigungen durch Lehrer in der Kindheit, grausame Initiationsriten
beim Antritt des Universitätsstudiums, Wachen und Fasten, um den umfangreichen Lern-
stoff bewältigen zu können, Krankheiten und tätliche Angriffe, welche durch die schlechte
Rechtsstellung der Studenten begünstigt werden. Sogar meist durch Habgier motivierte
Studentenmorde sind keine Seltenheit, wie Beispiele aus Frankreich, Italien und Deutsch-
land belegen. In Deutschland ist die Bevölkerung in ihrer Gesamtheit studentenfeindlich.
c) seelische Qualen (Bl. 356r–366v) : Unter dieser Kategorie, die weniger scharf umrissen
ist als die beiden vorhergehenden, wird zunächst das Heimweh im ‚Exil‘ des Studienortes
genannt, danach die Tatsache, dass viele Studenten aufgrund ihrer Armut teure Kredite
aufnehmen müssen und sich gezwungen sehen, ihr Studium abzubrechen. Meist können
solche bedauernswerte Existenzen ihr Scheitern mit Recht auch schlechten Professoren,
der allgemeinen Disziplinlosigkeit im Unterricht oder einer Krankheit zuschreiben. Den-
noch urteilen das gemeine Volk wie die Adeligen oft abfällig über Gelehrte bzw. Studen-
ten, wobei man besonders ihren angeblichen Mangel an Moral kritisiert. Illustriert wird
diese schlechte Reputation durch Geschichten von drei Frauen, die sich weigern, sich oder
ihre Töchter mit Gelehrten zu verheiraten. Wie ungerechtfertigt sie ist, wird durch einen
Vergleich mit Sitten und Ruf der Kleriker verdeutlicht. Die Privilegien, welche der Wis-
senschaft zustünden, werden allerorts mit Füßen getreten. Der Text schließt ringkomposi-
torisch mit einem Aufruf, die vita studiosa nur mit Bedacht zu wählen, dann aber mit aller
Kraft zu studieren ; eingelegt ist in diesen Schlussteil ein Lob der Wissenschaft und eine
Gegenüberstellung von guten und schlechten Studenten (Bl. 366v–368v).
Der Text, der, wenn man von der antiken Dreiteilung der Rhetorik ausgeht, der
beratenden Beredsamkeit zuzurechnen ist, war, wie schon die einleitende Charakte-
risierung als tractatum („Traktat“) nahelegt, wohl nicht für den mündlichen Vortrag
gedacht. Der Terminus declamatio konnte in der Renaissance über seine alte Bedeu-
tung „virtuose Unterhaltungsrede“, „Schulrede“ hinaus auch Lesetexte im weites-
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Volume 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- TYROLIS LATINA
- Subtitle
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Volume
- 1
- Authors
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Editor
- Karlheinz Töchterle
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 602
- Keywords
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Ãœberblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593