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350 Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog FerdinandsÂ
II. von Tirol (1595)
Philosophie als
Sittenlehre
UniversitÀts-
philosophie nobis sapientia merces / Attulit, et cornu divite prompsit opes (V. 1â2 ; âDie göttliche
Weisheit brachte uns wiederum ihre Waren und holte aus ihrem reichen FĂŒllhorn
SchĂ€tze hervorâ). Das Folgende ist eine Mahnung an die SchĂŒler, Laster zu vermei-
den und nach Weisheit zu streben :
Die ungezĂŒgelte Jugend ist wild und anfĂ€llig fĂŒr alle Laster. Diese aber fĂŒhren den Men-
schen in Ruin, Elend und Krieg. Gegenmittel sind ratio, virtus, pietas (âVerstandâ, âTĂŒch-
tigkeitâ, âFrömmigkeitâ) und besonders die christlich verstandene sapientia. Sie fĂŒhrt zu
Gott und zu den Sternen, zu Frieden, Recht und Gesetz, zu Selbstbeherrschung und MĂ€-
Ăigung. Wer der sapientia folgt, darf auf ein seliges Leben nach dem Tod hoffen. Die heid-
nischen Philosophen â namentlich genannt werden Aristoteles und Cicero â kannten diese
sapientia Christiana noch nicht, im Gegensatz etwa zu Augustinus, Ambrosius, Thomas
von Aquin oder Thomas Morus. All diese christlichen Philosophen sowie auch heutige
tugendsame Menschen fahren zu den Sternen. Darauf folgt die Ermunterung an ein Du :
Nimm auch du die Gaben der sapientia an ! Bald werden dich Kirche und Staat brauchen.
Werde den Hoffnungen gerecht, die deine Familie und deine Lehrer in dich setzen ! Wenn
du die Zeit zum Studium nutzt, wirst du allen Lastern ausweichen können.
Es ist offensichtlich, dass Philosophie hier auf eine verwertbare Sittenlehre reduziert
wird. Der Grundgedanke erinnert v.a. an Cicero, dessen Lob der Bildung und der
virtus (z.B. in den Tusculanen) durch das Lob der bildenden sapientia Christiana
ersetzt wird. Auch der Zusatz, dass die sapientia tĂŒchtige StaatsbĂŒrger hervorbringt,
gemahnt an Ciceros eigentliches Ziel, die Verwirklichung der virtus im öffentlichen
Leben. Dieser Ciceronianismus erklĂ€rt sich leicht daraus, dass die jesuitische âPhi-
losophieâ im Tirol des 16. Jhs. eben immer noch ausschlieĂlich auf der philologisch
geprÀgten Gymnasialstufe betrieben wird. Der Paradigmenwechsel hin zu dem in
unserem Gedicht auch genannten Aristoteles wird sich erst in der spÀteren Logik-
Klasse vollziehen.
Wer Philosophie auf höherem Niveau betreiben wollte, musste damals an Uni-
versitĂ€ten im Ausland gehen, sei es im oberitalienischen, sei es im sĂŒddeutschen
Raum. Dort war die aristotelisch geprÀgte Schulphilosophie1 als direkte Fortset-
zung der mittelalterlichen Scholastik etabliert. An den katholischen UniversitÀten,
die fĂŒr Tiroler im Regelfall allein in Frage kamen, hatte sich dabei ein fester, meist
in drei Jahren zu absolvierender cursus philosophicus herausgebildet, der aus den
GegenstÀnden Logik, Physik und Metaphysik bestand. Direkt aus dem Unterricht
1 Zum PhĂ€nomen der neuzeitlichen Schulphilosophie ĂŒberhaupt vgl. Blum 1998 ; s. auch das Kapitel
âSchulphilosophieâ in Ăberweg 4,1, 291â606, besonders 302â391 zur Schulphilosophie in den
katholischen Territorien. Vieles des dort fĂŒr das 17. Jh. Gesagten gilt auch fĂŒr das spĂ€te 16. Jh.
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Volume 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- TYROLIS LATINA
- Subtitle
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Volume
- 1
- Authors
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Ć ubariÄ
- Editor
- Karlheinz Töchterle
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 602
- Keywords
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Ăberblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Ć ubariÄ) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Ć ubariÄ) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Ć ubariÄ) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur GrĂŒndung der UniversitĂ€t (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Ć ubariÄ) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Ć ubariÄ) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593