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402 Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669)
Schulgedichte von
Thobias Castner
metrische Form,
Inhalt hatte ich vor Tag Gemetzel, Schnee, Nacht, Nuß“ [nex nix nox nux]). So wirkt es
programmatisch, dass schon das Titelblatt von einem elegischen Distichon aus zwei
perfekt palindromen Versen geziert wird, welches der Legende nach der Teufel in
Gestalt eines Esels von sich gab, als der Hl. Martin auf ihm nach Rom ritt : Signa
te, signa ; temere me tangis et angis. / Roma tibi subito motibus ibit amor („Bekreuzige,
bekreuzige dich ; mutwillig berührst und quälst du mich. Rom, der Gegenstand dei-
ner Liebe, wird durch meine Bewegungen rasch zu dir kommen“).7 Offenbar hatte
in der jesuitischen Didaktik neben katholischer Indoktrination und sprachlichem
Drill auch das humorvolle Spiel mit der Sprache seinen Platz.
Das Analogon zu Andreas Castners Gedichten fĂĽr die vorangehende Schulstufe
stellt ein ebenfalls in der Propsteibibliothek Bozen (T44) erhaltener Band dar, der
auf rund 250 Seiten die poetischen Werke eines Thobias Castner enthält. Abgese-
hen davon, dass Thobias Besitzer, vielleicht auch Mitautor einer hs. EinfĂĽhrung
in die aristotelische Logik war (Introductio in logica Aristotelis ; PBBZ, X 40, v.a.
Bl.Â
1r), fehlen auch zu ihm weitergehende biographische Hinweise. Offenbar hat er
wie Andreas das Innsbrucker Jesuitengymnasium besucht ; dass er mit diesem ver-
wandt war, ist eine nahe liegende Annahme. Dass seine Gedichte in der Poesieklasse
entstanden sind, bezeugt der Titel auf der Einbandinnenseite : THOBIAS CAST-
NER POETAE ANNO A PARTU VIRGINEO 1625 („[Buch] des Thobias Castner,
Schüler der Poesieklasse, 1625 n.Chr.“).8 Ob der Umfang des Bandes zeigt, dass
Thobias in dieser Zeit Dichter nicht nur aus Pflicht, sondern auch aus Leidenschaft
war, ob sein Unterrichtspensum einfach so umfangreich war oder ob er in größerem
Umfang auch fremde Gedichte aufgenommen hat – zumindest einen Zyklus auf
eine Kaiserin Anna (201–204) scheint er von Andreas übernommen zu haben, s.o.
–, muss offen bleiben.
Bei den hunderten meist kurzen Gedichten handelt es sich auch hier zum größ-
ten Teil um Epigramme. Metrisch dominiert wieder das Distichon, in weitem
Abstand gefolgt vom Hexameter ; viel seltener begegnen äolische Versmaße (z.B.
127–128, 157–158, 237–238) und ambrosianische Hymnenstrophen aus vier jam-
bischen Dimetern (vgl. etwa den Marienhymnus 152–153). Der Inhalt ist wieder
fast ausnahmslos geistlicher oder zumindest erbaulicher Natur. Den am häufigsten
behandelten Themenkomplex, dem etwa die Hälfte aller Verse gewidmet ist, stellen
in diesem Fall Heilige, v.a. Frauen dar, ein Großteil des Rests entfällt auf Stoffe aus
dem NT, insbesondere aus dem Leben Jesu. Des Weiteren finden sich Eschatologie,
7 Der Ursprung des vielzitierten Distichons liegt im Dunkeln ; vgl. (fĂĽr den Pentameter) Sidon. epist.
9,14,4 ; Henke 2007, v.a. 220–224.
8 Vgl. auch [ii], [250]. Den Vermerk Thobias Castner rhetor („Thobias Castner, Schüler der Rhetorik-
klasse“) auf der Innenseite des rückwärtigen Einbands fügte der Verfasser wohl nachträglich hinzu.
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Volume 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- TYROLIS LATINA
- Subtitle
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Volume
- 1
- Authors
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Editor
- Karlheinz Töchterle
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 602
- Keywords
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Ăśberblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593