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Dichtung 403
Charakterisierung
erbauliche Reflexionen, selten Themen aus der antiken Dichtung (z.B. 223 : bei
einer Venatio wird eine trächtige Sau durch einen Lanzenwurf verletzt und gebiert
aus der Wunde [nach Mart. 1,12–14] ; 225–227 : Beschreibung der vier Unterwelts-
flĂĽsse) sowie etwas Panegyrik, v.a. Grabgedichte auf kĂĽrzlich verstorbene Habsbur-
ger (145 : Erzherzogin Eleonore [† 1620], 236 : Kaiser Matthias [† 1619]). Viele
der kurzen Gedichte sind wieder zu Zyklen zusammengefasst, daneben begegnen
auch einige längere Einzelstücke. So hat das Somnium natale („Weihnachtstraum“ ;
1–13), das in 37 Epigrammen schildert, wie der Dichter im Traum die Weihnachts-
geschichte nacherlebt, ein GegenstĂĽck in dem hexametrischen Poema de natali
Christi („Gedicht über die Geburt Christi“ ; 98–103), dem sich seinerseits ein wei-
teres geistliches Epyllion über das Pfingstwunder zur Seite stellen lässt (228–235).
Zwei weitere Epigrammzyklen behandeln die Kreuzigung (128–143) bzw. – wieder
in 37 Einzelgedichten – Episoden aus dem Leben Jesu und der Apostelgeschichte
(180–199). Das Jüngste Gericht ist Gegenstand einer Elegie (105–109). In der De
morte („Über den Tod“ ; 110–122) betitelten Serie von Kurzelegien und Epigram-
men folgt auf eine Charakterisierung des Todes ex persona poetae eine Art Totentanz,
in der Vertreter verschiedener Altersgruppen, Charaktere und Stände (der Knabe,
der Unvorbereitete, der Höfling usw.) auftreten und ihr Sterben kommentieren ;
ihre Bemerkungen beginnen und enden jeweils mit der seit dem 13. Jh. in den soge-
nannten Vado Mori-Sprüchen auftretenden Formel vado mori („ich gehe sterben“ ;
vgl. Briesemeister 1999, 900). Als einziger Heiliger wird schlieĂźlich auch Katharina
ein längerer Epigrammzyklus gewidmet (204–214).
Von einigen Ausnahmen abgesehen hält sich das Vergnügen, mit dem man diese
Sammlungen liest, in Grenzen. Die jungen Autoren bemĂĽhen sich, in korrekten
Versen moralisch und religiös korrekte Gedanken auszudrücken, doch gerade das
macht die LektĂĽre etwa so spannend und abwechslungsreich wie die heutiger Gym-
nasialaufsätze. Anders als bei solchen ist hier jedoch das sprachliche Niveau, das
die fünfzehn- bis sechzehnjährigen Schüler erreichen, beeindruckend hoch. Zwar
finden sich immer wieder Härten und gezwungene Formulierungen, sprachliche
oder metrische Fehler im eigentlichen Sinne begegnen indes kaum. Die Lexik er-
scheint im Vergleich zur klassischen lat. Dichtersprache einerseits etwas reduziert,
andererseits um Material aus der christlichen Tradition erweitert. Die Syntax ist
insgesamt nicht auffällig simpel oder monoton. In literarischer Hinsicht fällt v.a.
bei den Epigrammen ins Auge, dass sich bestimmte stereotype Aufbauschemata wie
z.B. „(Feststellung eines Sachverhalts) – erstaunte Frage – Antwort“ durchsetzen,
aber das ist auch nicht anders zu erwarten, wenn man SchĂĽler jahrelang in einem
Genus üben lässt, das aufgrund seiner Kürze nur beschränkte Variationsmöglich-
keiten zulässt. Im Übrigen werden im Epigramm hauptsächlich diejenigen Vorzüge
angestrebt, die es traditionell auszeichnen, nämlich Prägnanz, Kontrastwirkung,
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Volume 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- TYROLIS LATINA
- Subtitle
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Volume
- 1
- Authors
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Editor
- Karlheinz Töchterle
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 602
- Keywords
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Ăśberblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593