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Dichtung 415
Inhalt, Aufbau,
Quellenfrage
Heiligenvita und
Epos
ximilian Heuffler, der seinem Nachnamen auch die latinisierte Form Aggestor gab
(ca. 1583–1623 ; vgl. Giner 1942, 17) : Er schrieb die ursprünglich um 1200 ver-
fasste Vita des Seligen Hartmann (vgl. hier S. 35–37) in 1408 Hexameter um. Die
als Cod. 38 des Neustifter Archivs erhaltene Reinschrift besitzt eine durchlaufende
Verszählung und enthält neben dem eigentlichen Text noch drei Begleitgedichte :
Am Schluss zwei Epigramme oder Kurzelegien auf Reimbert von Säben und seine
Frau Christina, die Stifter des Klosters Neustift, sowie auf den Hl. Augustinus, zu
Beginn ein Epigramm auf Wappen und Tugenden des Neustifter Propstes Jakob
Fischer (reg. 1589–1611). Das Letztgenannte legt es nahe, dass das Werk auf die
Initiative Fischers hin verfasst wurde, der sich vermutlich eine zeitgemäße Version
der Biographie des GrĂĽndungsvaters seines Klosters wĂĽnschte.
Die Darstellung gliedert sich in zwei durch Seitenumbruch getrennte, aber nicht
als eigene Bücher ausgewiesene Teile. Der erste (V. 1–739) erzählt nach dem Pro-
ömium Hartmanns Geburt in Passau, seine Erziehung am dortigen Nikolausstift,
seine Berufung nach Salzburg durch Bischof Konrad, seine Bestellung zum Propst
des Stiftes Chiemsee, seine Ăśbersiedlung nach Klosterneuburg auf Betreiben Le-
opolds III. und schlieĂźlich seine Einsetzung zum Bischof von Brixen sowie den
Beginn seines dortigen Wirkens. Der zweite (V.Â
740–1408) beginnt mit Hartmanns
Initiative zur GrĂĽndung des Klosters Neustift und fĂĽhrt bis zu seinem Tod. Die
Zweiteilung hat in der Urfassung kein Vorbild, doch inhaltlich und hinsichtlich
des Gangs der Erzählung bleibt Heuffler ganz in deren Rahmen (vgl. Sparber 1940,
3) ; oft entspricht ihr sein Bericht bis ins Detail. Da er sich jedoch v.a. im zweiten
Teil kĂĽrzer fasst als die Originalversion und einen GroĂźteil ihrer dort ausufernden
Wundergeschichten weglässt, muss einstweilen offen bleiben, ob er sie selbst oder
ihre bislang unedierte Kurzfassung aus dem 15. Jh. (Sparber 1940, 4–5) zur Vorlage
genommen hat.
Wie schon angedeutet, versucht Heuffler, eine Heiligenvita, die sprachlich
deutlich mittelalterliche Züge trägt, in die moderne Form des Heiligenepos um-
zugieĂźen. Damit bietet er nach der Symonis des Ubertinus Pusculus (vgl. hier
S. 71–74) das zweite Tiroler Beispiel für diese seit dem 15. Jh. gepflegte epische
Untergattung (Hoffmann 2001, 171–173). Allerdings weist schon die Übernahme
von Inhalt und Aufbau der alten Vita darauf hin, dass er nicht den Ehrgeiz hat,
aus dem Stoff ein Epos im klassisch-antiken Sinn zu machen, d.h. eine einheit-
liche Handlung zu gestalten, die auf ein bestimmtes Telos zuläuft und in diesem
zur Ruhe kommt (vgl. Aristot. poet. 23).14 Stattdessen zerfällt die Erzählung wie
14 Hartmanns Aufnahme in den Himmel, auf die im Schlussvers hingewiesen wird, wäre zwar an sich
ein solches Telos, doch sie ist so selbstverständlich, dass von ihr zuvor nie die Rede ist, und stiftet
somit auch keine Einheit.
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Volume 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- TYROLIS LATINA
- Subtitle
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Volume
- 1
- Authors
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Editor
- Karlheinz Töchterle
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 602
- Keywords
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Ăśberblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593