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Theater 437
Faschingsspiele
Maximilian III.
und das neue
Gymnasium
nächsten Theaterkapitel ausführlicher gehandelt wird (vgl. hier S. 663–668). Die
‚klassischen‘ Herbstspiele, die hier im Zentrum stehen, lassen sich stoffgeschicht-
lich grob einteilen in solche mit geistlichen (Märtyrer, Heilige, biblische Figuren)
und solche mit weltlich-höfischen Protagonisten (Fürsten, Feldherrn, Höflinge).
Erstere führen das seit dem Beginn des Jesuitendramas bedeutsame Paradigma des
Seelenheils fort, Letztere entwickeln im Lauf unserer Epoche unter dem Einfluss
des Frühabsolutismus ein neues, zusätzliches, Paradigma weltlicher (Haus-)Macht,
wobei die inszenierten Führergestalten freilich gute Christen sind und das Chris-
tentum – teilweise auch kämpferisch – vertreten. Gerade in Innsbruck scheint die-
ses neue Paradigma nicht zuletzt auch durch eine Häufung von Festspielen zu fürst-
lichen Hochzeiten angeregt worden zu sein.
Zunächst kurz zu den Faschingsspielen. Ein Beispiel gibt uns die – ausnahms-
weise hs. überlieferte – Perioche eines 1646 in Innsbruck aufgeführten kleinen
Stücks namens Vitia vini et virtutes in Baccho („Laster des Weins und Tugenden in
Bacchus“ ; TLMF, FB 572/3). Das Stück basiert auf der Idee, dass der Wein wegen
Fehlverhaltens vor Gericht kommt und zuerst eine Reihe von Zeugen gegen, dann
eine zweite Reihe für ihn spricht. Den Schluss bildete der Richterspruch, dessen
Inhalt uns die Perioche leider nicht mitteilt. Zweifellos handelt es sich hier um ein
lustiges Stück, wie man es für eine so fröhliche Gelegenheit wie den Fasching erwar-
ten darf. Faschingsspiele konnten aber auch als ein Gegenmittel für die Heiterkeit
dieser Jahreszeit konzipiert sein. Ein Beispiel dafür ist der erste Innsbrucker Beleg,
ein 1600 aufgeführter Doctor Parisiensis. Der Titel lässt an Jakob Bidermanns 1602
uraufgeführten Cenodoxus denken, dessen gleichnamiger Protagonist auch als Dok-
tor von Paris bekannt ist. Das Innsbrucker Stück könnte ein bisher nicht gewür-
digter Vorläufer Bidermanns sein. Darüber lässt sich aber nur spekulieren, weil wir
einzig durch den Bericht der historia domus (vgl. hier S. 332–334) davon wissen,
und dieser Bericht sagt wiederum mehr zum Aufführungszweck als zur Aufführung
selbst : Bacchanaliorum tempore, ut populus ab intempestivis gaudiis abstraheretur, in
theatrum productus Doctor Parisiensis („Zur Zeit der Bacchusfeiern wurde auf dem
Theater ein Doktor von Paris aufgeführt, um das Volk von unmäßigen Freuden
abzuhalten“).
Ansonsten beschäftigte sich das Tiroler Jesuitendrama des frühen 17. Jhs. fast
ausschließlich mit Stoffen aus der Heiligen- und Märtyrerlegende. Der neue Lan-
desherr Maximilian III. war an dieser Entwicklung sicher nicht unbeteiligt, wenn
auch nur dadurch, dass er gerade keinen besonderen Einfluss auf das Jesuitendrama
nahm. Maximilian galt als überaus fromm und frönte in seiner Freizeit asketischen
Tendenzen. Sakralgeschichtliche Helden und Stoffe auf der Jesuitenbühne waren
ihm von daher sicher recht, andererseits hatte er für das Theater insgesamt nicht
jene Leidenschaft, wie sie Erzherzog Ferdinand
II. und teilweise Maximilians Nach-
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Volume 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- TYROLIS LATINA
- Subtitle
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Volume
- 1
- Authors
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Editor
- Karlheinz Töchterle
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 602
- Keywords
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Überblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593