Page - 445 - in TYROLIS LATINA - Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Volume 1
Image of the Page - 445 -
Text of the Page - 445 -
Theater 445
Wirkung
Früh absolutismus :
Einfluss des Hofs
Der Anderl-Stoff musste durch die Haller Aufführung schlagartig bekannt wer-
den. Durch die Freiluftaufführung konnte man ein großes Publikum erreichen.
Guarinonius selbst berichtet in seiner Histori, dass mehrere umliegende Dorfge-
meinschaften, darunter namentlich die von Rinn und Tulfes, eingeladen waren.
Neben dem gemeinen Volk ließ es sich aber auch Erzherzog Leopold V. mit einem
hohen Gast, einem Prinzen aus dem polnischen Fürstengeschlecht der Radziwill,
nicht nehmen, bei der theatralischen Inauguration des neuen Märtyrers dabei zu
sein. Die beiden wurden von zahlreichen Mitgliedern des Innsbrucker Hofes beglei-
tet. Zwei Formulierungen der Perioche, die eine am Anfang, die andere am Ende
des Schauspiels, zeigen deutlich das Bestreben, die noch nicht bekannte Anderl-Le-
gende populär zu machen. Im Prolog treten Simon von Trient und Anderl von Rinn
zusammen auf, zwei Schutzengel wünschen sich für jeden von ihnen eine Tragödie :
„Wirdt aber Andreas / als welcher noch unbekandter / vorgezogen / und darumb
erzehlen sie kürtzlich mit einandern den Verlauff seiner heiligen Marter.“ Am Ende
des Dramas mahnen wiederum Engel ausdrücklich die Verehrung des seligen Kna-
bens Andreas ein : „Zaigen beynebens seine mit Bluet besprengte Klaidlein / und
ermahnen menigklich / daß dises klaine Knäblein / hinfüran in grosser Ehr und
Reverentz solle gehalten werden.“ Der hier von der Bühne herab aufgetragene Kult
des Anderl setzte in den folgenden Jahren auch tatsächlich ein. In der Histori von
1651 konnte Guarinonius bereits auf die jährlichen Wallfahrten zum Judenstein,
dem Ort des angeblichen Martyriums, hinweisen. Seine gegenreformatorische Al-
lianz mit den Jesuiten hatte nicht zuletzt dank des rasch produzierten Dramas von
1621 ihren Zweck erreicht. Die Anderl-Aufführung ist damit ein eindrucksvolles,
wenn auch schauerliches Beispiel für die Flexibilität und rhetorische Effizienz des
Jesuitentheaters.7
Im Fall des Anderl-von-Rinn-Dramas waren zwar hohe fürstliche Zuschauer an-
wesend, doch wirkte sich das offensichtlich noch nicht auf die Dramaturgie aus. In
der weiteren Geschichte des Tiroler Jesuitendramas können wir eine wiedererstarkte
Orientierung des Theaters am Hof beobachten. Das wirkt sich zum einen auf die
Aufführungspraxis der bisher dominierenden – und weiterhin stark vertretenen –
sakralgeschichtlichen Stoffe von Märtyrern, Heiligen und biblischen Figuren aus,
so z.B. wenn Huldigungsadressen die Handlung überlagern ; zum andern tritt nun
aber auch ein verstärktes Interesse an profangeschichtlichen Helden, besonders an
7 Die Tradition des Anderl-Stoffes auf der Bühne wurde, sicher durch das Haller Stück von 1621
angeregt, vom Volksschauspiel fortgeführt. Auf die erste bekannte Aufführung in Ambras 1648
folgten zahlreiche Wiederholungen und Bearbeitungen in der zweiten Hälfte des 17. Jhs. und im
18. Jh. Später gab es noch Nachzügler bis ins 20. Jh. Die letzte, von einem Pfarrer aus Tulfes ge-
leitete und mit Kindern inszenierte Anderl-Aufführung stammt aus dem Jahr 1954 (vgl. Hastaba
1997, 287).
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Volume 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- TYROLIS LATINA
- Subtitle
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Volume
- 1
- Authors
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Editor
- Karlheinz Töchterle
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 602
- Keywords
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Überblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593