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590 Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669)
Juristen bei Hof
Biener
Deductiones responsio („Antwort“) hierauf führt gegen diese Sicht der Dinge zwei Argumente ins
Feld : Erstens impliziert der juristische Grundsatz Plus semper in se continet quod est
minus („Das Mehr enthält in sich immer das Weniger“), dass der, der 60 Stunden
betet, auch 40 Stunden betet. Zweitens ist bei jeder Verordnung primär auf die in-
tentio disponentis („Absicht dessen, der sie erlässt“) zu achten ; der Papst wollte aber
gewiss nicht die Betzeit auf 40 Stunden beschränken, sondern diese Zahl als Min-
destwert verstanden wissen. AbschlieĂźend merkt Gobat an, er habe dieses Prob lem
aus gegebenem Anlass behandelt und selbständig gelöst : Atque in hunc sensum res-
pondi meam ista de re sententiam rogatus. („Und in diesem Sinne antwortete ich, als
man mich um meine Meinung in dieser Sache fragte.“)
Wie bereits angedeutet, hatte im Tirol dieser Zeit schon seit längerem der Auf-
stieg der Juristen zur Macht und die Bildung eines Beamtenadels eingesetzt. Die
bessere Erreichbarkeit der Universitäten, das höhere Ansehen der Bildung und die
Professionalisierung der Verwaltung hatten dazu gefĂĽhrt, dass die weltlichen und
geistlichen Machthaber sich ihre Berater nun weniger nach deren Stand als vielmehr
nach ihren beruflichen Qualifikationen aussuchten. Insbesondere die Verwaltungs-
reform von Kaiser Maximilian II. hatte immer mehr Juristen in den Dienst der
Regierung treten lassen ; diese genossen in ihren Ă„mtern auĂźerdem zunehmenden
Handlungsspielraum. Auch die meisten Kanzler Tirols waren geschulte Juristen.
Zwei von ihnen, von denen sich auch juristische Schriften erhalten haben, sollen
im Folgenden kurz vorgestellt werden.
Der berĂĽhmteste Kanzler Tirols ĂĽberhaupt war der aus Oberschwaben stam-
mende Wilhelm Biener (vor 1590–1651). Als kompetent und unbestechlich, aber
auch als undiplomatisch und streitbar bekannt, stieg er unter Claudia de’ Medici
schnell zu hohen Ehren auf. Als ihr Sohn Ferdinand Karl an die Macht kam, begann
Bieners Einfluss nachzulassen. Von seinen Beratern, darunter Isaak von Volmar,
dem Erzfeind Bieners, wurde Ferdinand Karl dazu gedrängt, einen Prozess gegen
den Kanzler zu initiieren, der mit dessen Verurteilung und Hinrichtung endete.
Dieses oft als „Justizmord“ bezeichnete Verfahren hat zu zahlreichen literarischen
Bearbeitungen Anlass gegeben (Hirn 1898 ; BBKL 32, 83–92).
Bieners Verteidigungsschriften im Prozess gegen ihn wurden später von Andreas
di Pauli zu einer zusammenhängenden Darstellung verarbeitet (vgl. hier S. 1058–
1060). Im vorliegenden Zusammenhang ist eine Schrift zu nennen, die sich der
Gattung der deductiones („Schlussfolgerungen“) zuordnen lässt, gutachtenähnlichen
Ă„uĂźerungen, die im Auftrag eines Landesherren in einem die Regierung betreffen-
den Rechtsstreit verfasst wurden (vgl. Gehrke 1974, 6–7). Es handelt sich um eine
im TLMF unter der Signatur W 931 erhaltene Hs. mit dem Titel Deductiones histo-
rico-legales concernentes nexum episcopatuum Tridentini et Brixinensis cum provincia
Tyrolensi et ius Augustae domui competens collectandi terras his episcopatibus subiectas
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Volume 1
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- TYROLIS LATINA
- Subtitle
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Volume
- 1
- Authors
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Editor
- Karlheinz Töchterle
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 602
- Keywords
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Vorwort 9
- Epochenbild (Josef Riedmann) 21
- Ăśberblick (Gabriela Kompatscher) 31
- Epochenbild (Lav Šubarić) 55
- Dichtung (Martin Korenjak) 66
- Rhetorik und Beredsamkeit (Martin Korenjak) 95
- Geschichtsschreibung (Josef Riedmann/Florian Schaffenrath) 105
- Biographie (Wolfgang Kofler) 123
- Brief (Christina Antenhofer/Lukas Oberrauch) 130
- Musik (Lukas Oberrauch) 143
- Kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 147
- Philosophie (Stefan Tilg) 167
- Medizin und Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 189
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 198
- Das 16. Jh. bis zum Tod Erzherzog Ferdinands II. von Tirol (1595) Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 215
- Dichtung (Wolfgang Kofler/Martin Korenjak) 225
- Theater (Stefan Tilg) 266
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 282
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath) 307
- Brief (Martin Korenjak) 335
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 342
- Philosophie (Stefan Tilg) 349
- Naturwissenschaft (Lav Šubarić) 355
- Medizin (Lukas Oberrauch) 362
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 378
- Das 17. Jh. bis zum Aussterben der Tiroler Linie der Habsburger (1665) und zur Gründung der Universität (1669) Epochenbild (Stefan Tilg) 385
- Dichtung (Martin Korenjak) 397
- Theater (Stefan Tilg) 436
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 465
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić) 480
- Biographie (Florian Schaffenrath) 505
- Brief (Martin Korenjak) 517
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 525
- Philosophie (Stefan Tilg) 545
- Naturwissenschaft (Martin Korenjak) 555
- Medizin (Lav Šubarić) 564
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 584
- Farbtafeln 593