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638 Von der Gründung der Universität bis zur Aufhebung des Jesuitenordens (1773)
Scherer,
Ode sapphica
Ecstasis poetica
Sanctus Severinus
Boetius Die chronologisch erste unter den Publikationen fĂĽr Juristen ist die 1710 in
Trient erschienene „Sapphische Ode“ des Theologiestudenten Heinrich Michael
Scherer von Hausen aus Konstanz (vgl. Kollmann 1972, Nr. 1950) zur Defensio
seines Freundes Gallus Plazer. In 43 Strophen wird der Verlauf des Geschehens
nachvollzogen, indem der Defendent zuerst zu tapferem Kampf ermahnt, danach
sein Sieg besungen und die herrschende Festfreude bedichtet wird. Jede Strophe ist
nach dem Schema aabb gereimt, das Gedicht verbindet somit sonst meist streng ge-
trennte Prinzipien antiker und mittelalterlicher Poesie. Str.Â
20 lautet beispielsweise :
GALLE, laetare, hora statuta fluxit, / Hoste fuso prospera stella luxit : / Te recipit plausu
reducem Minerva, / Sacra caterva. („Gallus, freu dich, die festgesetzte Stunde ist
verflossen, der Feind zerstreut, ein günstiger Stern ist dir erglänzt. Dich empfangen
bei deiner Rückkehr mit Beifall Minerva und ihre heilige Schar.“)
Die hexametrische „Poetische Ekstase“ dreier Studienkollegen für Giovanni Bat-
tista Besenella (Innsbruck 1722) konzentriert sich auf die Feiern nach dessen Pro-
motion, die in überhöhter Form als Triumphzug (vgl. zu diesem Motiv Helas 1999)
erscheinen : Themis, Nemesis und Astraea, die Unterweltsrichter, Justinian und der
Papst ziehen auf Triumphwagen vorüber, deren Aufschriften wörtlich zitiert wer-
den. Der titulus des Justinian ([5]) gibt dabei anscheinend das Dissertationsthema
an, das sich auf Passagen aus dem Codex Iustinianus und den Novellen bezieht.
Das literarisch gewichtigste aller Innsbrucker Promotionsgedichte ist ein anony-
mes Kurzepos von knapp 400 Versen ĂĽber den Tod des Boethius, das zur Promo-
tion des Joseph Ignaz Thanner aus FĂĽssen zum Doktor des Kirchenrechts 1726 in
Innsbruck erschien.
Nach dem Proömium mit Inhaltsangabe und Bitte an Themis um Inspiration (Bl. A1v–
A2r) setzt die Handlung in dem Moment ein, in dem Boethius als angeblicher Verschwörer
von Theoderich aus Rom nach Pavia verbannt wird. Er hält eine Rede, in der er seine
Unschuld beteuert (Bl. A2r), und verabschiedet sich von Frau und Kindern (Bl. A2v). Die
Nacht verbringt er an einem locus amoenus und erfährt dort im Traum, seine Söhne seien
in Sicherheit und würden sogar zu Konsuln aufsteigen (Bl. A2v–A3v).17 Am anderen Mor-
gen wandert er weiter, erreicht Pavia, betritt es trotz einer warnenden Stimme und wird
sofort eingekerkert (Bl. A3v). Der Mut verlässt ihn, doch Themis erscheint, tröstet den
Klagenden und stärkt ihn für das Kommende (Bl. A3v–B1r). Vor dem Stadtpräfekten zeigt
Boethius sich todesbereit, weist das Angebot, durch ein Geständnis und die Bezeichnung
seiner Mitverschworenen seine Freiheit wiederzugewinnen, zurück und wird geköpft. Er
geht mit seinem Kopf unter dem Arm noch bis zur nahen Pauluskirche (Bl. B1r–B2r). –
Heute tritt nun mit Thanner ein neuer Kämpfer in die Reihen der Themis (Bl. B2v).
17 Tatsächlich waren Boethius’ Söhne bereits zu dessen Lebzeiten Konsuln.
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Volume 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- TYROLIS LATINA
- Subtitle
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Volume
- 2
- Authors
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Editor
- Karlheinz Töchterle
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 728
- Keywords
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Von der Gründung der Universität bis zur Aufhebung des Jesuitenordens (1773) Epochenbild (Lav Šubarić) 610
- Dichtung (Martin Korenjak) 620
- Theater (Stefan Tilg) 660
- Beredsamkeit, Dialog, Rhetorik (Florian Schaffenrath) 701
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić/Florian Schaffenrath/Patrik Kennel) 726
- Biographisches Schrifttum (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 778
- Brief (Wolfgang Kofler) 788
- Sprachdidaktik, Poetik, Philologie (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 797
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 807
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 833
- Medizin (Lukas Oberrauch) 862
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne/Erika Kustatscher) 875
- Von der Vertreibung der Jesuiten bis zur Revolution 1848 Epochenbild (Florian Schaffenrath) 909
- Dichtung (Florian Schaffenrath) 918
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 941
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath/Erika Kustatscher) 953
- Biographisches Schrifttum (Patrik Kennel/Martin Korenjak) 980
- Brief (Wolfgang Kofler) 989
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 998
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 1022
- Medizin (Lav Šubarić) 1046
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 1056
- Von der Revolution 1848 bis heute Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 1073
- Dichtung (Stefan Tilg) 1079
- Prosa (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 1109
- AbkĂĽrzungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1159
- Bibliothekssiglen (Johanna Luggin) 1161
- Bibliographie (Johanna Luggin) 1162
- Abbildungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1265
- Index nominum (Johanna Luggin) 1271
- Index geographicus (Johanna Luggin/Simon Wirthensohn) 1299
- Index rerum (Johanna Luggin) 1310
- Verzeichnis der Autorinnen und Autoren 1322