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668 Von der Gründung der Universität bis zur Aufhebung des Jesuitenordens (1773)
Charakteristik
Herbst- und
Festspiele einem scholastisch anmutenden Gespräch davon, dass er die causa moralis („moralische
Ursache“) des Todes Christi ist und dass er Christus sooft getötet als er schwer gesündigt
hat ; A wünscht sich, von der Erde verschluckt zu werden, was sich auch im Bühnenbild
niederschlägt (8) : Conde Sol auree iubar tuum, terra aperi sinum tuum, et absorbe monstrum
tam ingratum, ne premat terram scelesto pede, quam JESUS – Eheu ! quid hoc ? an audior ?
quae tenebrae ? quae monstra ? („Goldene Sonne, verbirg deinen Schein ! Erde, öffne deinen
Schlund und verschluck dieses undankbare Monster, damit es nicht mehr mit seinem ver-
brecherischen Fuß die Erde tritt, die Jesus – Weh ! Was ist das ? Werde ich erhört ? Welche
Finsternis ? Welch Unding ?“) A. will sich aus Schuldgefühl umbringen ; P. und S.
überzeu-
gen ihn, dass Jesus nichts anderes von ihm will als Liebe, Schmerz und Hassen der Sünde ;
A. endet mit begeisterter Bekräftigung dieser Grundsätze (9).
Bemerkenswert an diesem Drama ist u.a. die Deutlichkeit des affektpoetischen Kal-
küls, von dem die Vorrede den Zuschauer unterrichtet, sowie die Multimedialität,
die dieses Kalkül sinnlich umsetzt. Der Musik kommt dabei eine zentrale Rolle
zu, indem sie den Gefühlsumschwung zwischen dem ersten und dem zweiten Teil
herbeiführt. Ihre Komposition schreibt die Perioche Georg Paul Falck zu, einem
Studenten beider Rechte, der als Organist in der Stadtpfarrkirche St. Jakob tätig
war.8 Die Perioche enthält auch den Musiktext, die Zuschauer konnten sich auf
die Peripetie des Stücks also vorbereiten (vgl. Abb. 109, 110). Zur Multimedia-
lität tragen auch die Bühnenbilder bei, die am Fuß der Druckseiten beschrieben
und im Spieltext – teils illusionsbrechend – angesprochen werden. Der Text be-
ginnt sogar mit einer Betrachtung des Bühnenbilds, das in der ersten Szene die Lei-
densgeschichte Christi darstellt : Anthropus drückt sein Erstaunen darüber aus, dass
Christus all das erlitten hat, was pictae hae imagines („diese gemalten Bilder“) zeigen.
Pistonius antwortet darauf, dass der „Pinsel eines Künstlers“ (artificis penicillus) das
volle Ausmaß des Leidens Christi gar nicht ausdrücken kann. Schließlich sei auch
noch der stellenweise Charakter einer scholastischen Disputation hervorgehoben,
der sich besonders im Dialog zwischen Anthropus und Synesius bemerkbar macht
und in dem sich wohl auch der jesuitische Philosophie- und Theologieunterricht
niedergeschlagen hat.
Vielleicht war es gerade der Erfolg der jesuitischen Meditationsspiele, welcher
die großen Schulschlussaufführungen von ihren religiösen Pflichten entlastete. Je-
denfalls ist ein Trend zur zunehmenden Verweltlichung und Verbürgerlichung die-
ses theatergeschichtlich bedeutendsten Strangs des Jesuitendramas zu beobachten.
Dies geht u.a. mit einer Hinwendung zur klassischen Antike einher. Während das
8 Falck ist auch später noch als Organist in Innsbruck anzutreffen. 1769 begleitete er zusammen mit
anderen lokalen Musikern den kleinen Mozart bei einem Gastspiel in Innsbruck, vgl. Abert 1920, 126.
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Volume 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- TYROLIS LATINA
- Subtitle
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Volume
- 2
- Authors
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Editor
- Karlheinz Töchterle
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 728
- Keywords
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Von der Gründung der Universität bis zur Aufhebung des Jesuitenordens (1773) Epochenbild (Lav Šubarić) 610
- Dichtung (Martin Korenjak) 620
- Theater (Stefan Tilg) 660
- Beredsamkeit, Dialog, Rhetorik (Florian Schaffenrath) 701
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić/Florian Schaffenrath/Patrik Kennel) 726
- Biographisches Schrifttum (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 778
- Brief (Wolfgang Kofler) 788
- Sprachdidaktik, Poetik, Philologie (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 797
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 807
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 833
- Medizin (Lukas Oberrauch) 862
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne/Erika Kustatscher) 875
- Von der Vertreibung der Jesuiten bis zur Revolution 1848 Epochenbild (Florian Schaffenrath) 909
- Dichtung (Florian Schaffenrath) 918
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 941
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath/Erika Kustatscher) 953
- Biographisches Schrifttum (Patrik Kennel/Martin Korenjak) 980
- Brief (Wolfgang Kofler) 989
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 998
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 1022
- Medizin (Lav Šubarić) 1046
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 1056
- Von der Revolution 1848 bis heute Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 1073
- Dichtung (Stefan Tilg) 1079
- Prosa (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 1109
- Abkürzungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1159
- Bibliothekssiglen (Johanna Luggin) 1161
- Bibliographie (Johanna Luggin) 1162
- Abbildungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1265
- Index nominum (Johanna Luggin) 1271
- Index geographicus (Johanna Luggin/Simon Wirthensohn) 1299
- Index rerum (Johanna Luggin) 1310
- Verzeichnis der Autorinnen und Autoren 1322