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810 Von der Gründung der Universität bis zur Aufhebung des Jesuitenordens (1773)
Disputatio
theologica de
regula morum
Probabilismus
Halden, Cassandra Jahrzehnten ihres Bestehens zählte (Coreth 1995, 14–17). Sein Œuvre ist, ganz im
Sinne des damals gängigen Begriffs von scholastischer Theologie (Mraz 1968, 127),
v.a. dogmatischen Fragen (Glaube, Sakramente) gewidmet, deckt aber auch Moral
und Kirchenrecht ab (Gasser 4, 231–232 ; Hurter 4, 339).
Aus einer Reihe von Disputationen, die Zingnis von seinen Studenten verteidi-
gen lieĂź und anschlieĂźend in Innsbruck zum Druck brachte, sei die Disputatio theo-
logica de regula morum sive actuum humanorum („Disputation über die Richtschnur
der Sitten bzw. des menschlichen Handelns“) aus dem Jahr 1690 herausgegriffen.
Die insgesamt 136 Seiten umfassenden AusfĂĽhrungen gliedern sich in zehn Kapitel,
von denen die ersten drei einleitenden Charakter tragen : Kap. 1 zeigt die Grenzen
des menschlichen Erkenntnisvermögens auf, welches als cognitio abstractiva („abs-
trahierendes Erkennen“) an die erst im Zustand ewiger Seligkeit realisierbare cogni-
tio intuitiva (S. 7 ; „in klarem Sehen bestehendes Erkennen“) nur näherungsweise
heranreicht. Dennoch sind Vernunft und freier Wille fĂĽr den Menschen unabding-
bar (Kap. 2). Hierauf baut das Gewissen auf, in dem sich laut Zingnis gemäß der
lat. Etymologie des Wortes (con-scientia, wörtlich „Mit-Wissen“ ; vgl. etwa Pieper
2004, 26) die rationale Seite des Menschen verwirklicht (Kap. 3).
Aufbauend auf diesen Prämissen behandelt der Hauptteil der Arbeit (Kap. 4–10)
dann in häufig kasuistischer Form moralische Fragen im engeren Sinne. Zingnis
bezieht dabei in einer damals aktuellen Kontroversfrage der katholischen Moral-
theologie klar Position. Er argumentiert nämlich mitunter scharf gegen Menschen,
die meinen, im Bereich des sittlichen Handelns besonders skrupulös sein zu müs-
sen, und erweist sich so als typischer Vertreter einer seit dem 17. Jh. v.a. bei den
Dominikanern und Jesuiten verbreiteten Richtung, die fĂĽr das Offenhalten weiter
Bereiche sittlicher Entscheidungsfreiheit eintrat. Eine lex dubia („zweifelhaftes Ge-
setz“) hat dieser Auffassung zufolge keine bindende Wirkung, vielmehr darf sich die
conscientia dubia („zweifelndes Gewissen“) für eine Handlungsalternative entschei-
den, wenn sich fĂĽr diese nur plausible GrĂĽnde finden lassen. Eine Verpflichtung
nachzuforschen, ob die GrĂĽnde fĂĽr die andere Alternative nicht noch plausibler
wären, besteht nicht. Nach dem lat. Ausdruck für „plausibel“ oder „annehmbar“,
probabilis, kennt man diese Richtung der Moraltheologie als Probabilismus. Da
sich auf diese Art viele moralische Fragen großzügig lösen lassen, spricht man heute
auch gerne von „Laxismus“ (Klomps 1963, 9–28 ; HdK 5, 576 ; LThK 7, 461–462).
Ein weiterer wichtiger Theologieprofessor aus der Frühzeit der Universität war
Johann Baptist Halden SJ (1649–1723 ; BS 4, 38–39). Er stammte aus der Land-
schaft Blumenegg im Walgau, trat 1665 in die Gesellschaft Jesu ein und wirkte
zunächst als Professor der Philosophie in Dillingen, ehe er 1689 nach Tirol kam. In
Innsbruck erwarb er sich als langjähriger Lehrer der scholastischen Theologie und
der Moral hohes Ansehen und dürfte die theologische Lehre nachhaltig geprägt
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Volume 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- TYROLIS LATINA
- Subtitle
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Volume
- 2
- Authors
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Editor
- Karlheinz Töchterle
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 728
- Keywords
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Von der Gründung der Universität bis zur Aufhebung des Jesuitenordens (1773) Epochenbild (Lav Šubarić) 610
- Dichtung (Martin Korenjak) 620
- Theater (Stefan Tilg) 660
- Beredsamkeit, Dialog, Rhetorik (Florian Schaffenrath) 701
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić/Florian Schaffenrath/Patrik Kennel) 726
- Biographisches Schrifttum (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 778
- Brief (Wolfgang Kofler) 788
- Sprachdidaktik, Poetik, Philologie (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 797
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 807
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 833
- Medizin (Lukas Oberrauch) 862
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne/Erika Kustatscher) 875
- Von der Vertreibung der Jesuiten bis zur Revolution 1848 Epochenbild (Florian Schaffenrath) 909
- Dichtung (Florian Schaffenrath) 918
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 941
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath/Erika Kustatscher) 953
- Biographisches Schrifttum (Patrik Kennel/Martin Korenjak) 980
- Brief (Wolfgang Kofler) 989
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 998
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 1022
- Medizin (Lav Šubarić) 1046
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 1056
- Von der Revolution 1848 bis heute Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 1073
- Dichtung (Stefan Tilg) 1079
- Prosa (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 1109
- AbkĂĽrzungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1159
- Bibliothekssiglen (Johanna Luggin) 1161
- Bibliographie (Johanna Luggin) 1162
- Abbildungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1265
- Index nominum (Johanna Luggin) 1271
- Index geographicus (Johanna Luggin/Simon Wirthensohn) 1299
- Index rerum (Johanna Luggin) 1310
- Verzeichnis der Autorinnen und Autoren 1322