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922 Von der Vertreibung der Jesuiten bis zur Revolution 1848
Tendenz
Francesco Moar römischen Truppen mit frischer Energie an die Belagerung (V. 403–424). Der Dichter
wendet sich mit der Frage an Jerusalem, was es sich dabei gedacht habe (V. 425–430),
und beschreibt Fames, die Personifikation des Hungers, die nun in der Stadt zusammen
mit ihrem Gefolge weiterer unangenehmer Gestalten zu herrschen beginnt (V.Â
431–452).
Erneut wendet sich der Dichter in der ersten Person an seine Leser und gesteht, all das
Leid in der Stadt nicht beschreiben zu können (V. 453–457). Ausgefallenste Methoden
der Nahrungsbeschaffung werden angewandt ; dennoch verhungern viele in der Stadt, die
ein schreckliches Bild bietet (V. 458–482). Es kommt zu tragisch-kannibalischen Kinds-
morden (V. 483–516). Bei diesem Anblick beschließt Titus, die Stadt nun nicht mehr
zu schonen, sondern erbarmungslos anzugreifen, was sie sich selber zuzuschreiben habe
(V.Â
517–544). Der Prophet Mathias kommt zu Titus und fordert ihn auf, Jerusalem noch
am selben Tag zu erobern, dabei aber seine drei Söhne, die er in der Stadt zurücklassen
musste, zu verschonen (V. 545–565). Gerade da schleppt Simon die drei Söhne des Ma-
thias auf die Stadtmauer und fordert den Verräter auf, nach Jerusalem zurückzukehren,
wenn er wolle, dass seine Söhne am Leben bleiben (V. 566–574). Mathias kehrt in die
Stadt zurück und wird vor den Augen der Römer zusammen mit seinen Söhnen ermordet
(V. 575–583). Titus lässt daraufhin die Stadt stürmen ; Satan wird niedergerungen, der
Tempel angezündet. Die Juden sind gezwungen, auf der ganzen Welt verstreut zu leben
(V.Â
584–616).
Das Gedicht verfolgt klar die Tendenz, Titus nicht als feindlichen Aggressor erschei-
nen zu lassen, sondern vielmehr als Friedensbringer (V.Â
195 : pacifer). Entsprechend
wird seine Redeweise auch als friedensstiftend charakterisiert (V. 272 : pacifica […]
voce). Nur Satan wirft ihm vor, er gebe sich nur den Anschein, auf Frieden aus zu
sein (V. 315 : pacis mentito nomine). Die Juden auf der anderen Seite erscheinen
nicht als angegriffene Opfer, sondern als Aggressoren, wenn sie beispielsweise die
Gesandtschaft, die am Vorabend des Angriffs in die Stadt kommt, aus einem Hin-
terhalt überfallen. In die allgemein judenfeindliche Tendenz des Gedichtes, die sich
in einschlägigen Gnomen zeigt (z.B. V. 212), passt die blutrünstige Episode von
den jüdischen Müttern, die die eigenen Kinder opfern (V. 483–516). Die in Trient
besonders beliebte Geschichte vom angeblichen Mord am kleinen Simon durch
eine Gruppe von Juden (vgl. hier S. 67–69) könnte inspirierend gewirkt haben.
Unter den Epikern zu nennen ist einer der fruchtbarsten lat. Dichter dieser Epo-
che : der Rechtsanwalt Francesco Moar (1817–1893). In Trient geboren und auf-
gewachsen, besuchte er später die Universitäten von Wien und Padua. Nach dem
Studium arbeitete er als Notar in seiner Heimatstadt, gab diesen Beruf aber bald
auf und wirkte bis zu seinem Tod am 30. April 1893 als Gelehrter der Astronomie
und religiösen Philosophie (vgl. Gasser 2, 270–271 ; Ambrosi 1894, 262–263 ; ÖBL
6, 563).
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Volume 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- TYROLIS LATINA
- Subtitle
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Volume
- 2
- Authors
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Editor
- Karlheinz Töchterle
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 728
- Keywords
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Von der Gründung der Universität bis zur Aufhebung des Jesuitenordens (1773) Epochenbild (Lav Šubarić) 610
- Dichtung (Martin Korenjak) 620
- Theater (Stefan Tilg) 660
- Beredsamkeit, Dialog, Rhetorik (Florian Schaffenrath) 701
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić/Florian Schaffenrath/Patrik Kennel) 726
- Biographisches Schrifttum (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 778
- Brief (Wolfgang Kofler) 788
- Sprachdidaktik, Poetik, Philologie (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 797
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 807
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 833
- Medizin (Lukas Oberrauch) 862
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne/Erika Kustatscher) 875
- Von der Vertreibung der Jesuiten bis zur Revolution 1848 Epochenbild (Florian Schaffenrath) 909
- Dichtung (Florian Schaffenrath) 918
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 941
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath/Erika Kustatscher) 953
- Biographisches Schrifttum (Patrik Kennel/Martin Korenjak) 980
- Brief (Wolfgang Kofler) 989
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 998
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 1022
- Medizin (Lav Šubarić) 1046
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 1056
- Von der Revolution 1848 bis heute Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 1073
- Dichtung (Stefan Tilg) 1079
- Prosa (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 1109
- Abkürzungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1159
- Bibliothekssiglen (Johanna Luggin) 1161
- Bibliographie (Johanna Luggin) 1162
- Abbildungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1265
- Index nominum (Johanna Luggin) 1271
- Index geographicus (Johanna Luggin/Simon Wirthensohn) 1299
- Index rerum (Johanna Luggin) 1310
- Verzeichnis der Autorinnen und Autoren 1322