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Beredsamkeit 951
Beltramis
Leichenreden
Akademie-
Leichenrede ?
orationis („Tugenden“ bzw. „Fehler der Rede“). Wie in seinem sonstigen Wirken,
so erweist er sich auch hier als italienischer Patriot, womit eine gewisse Verach-
tung germanischer Barbarei einhergeht : Schriften aus dem deutschen Sprachraum
werden bestenfalls höflich gelobt und können herb getadelt werden (z.B. serm. II
§ III), solche aus dem italienischen werden mitunter hymnisch gepriesen. Symp-
tomatisch ist etwa die Bemerkung in serm. I § IV : Atque haec vobis attuli e Ger-
mania ; ex Italia vero nostra […] multo elegantiora. („Und das habe ich euch aus
Deutschland mitgebracht ; aus unserem Italien aber […] viel Eleganteres.“) Damit
ist auch schon angedeutet, dass diese Berichte nicht nur als Zeugnisse für Vannettis
Stilkritik, sondern auch als Quellen für die Geschichte der Agiati von Bedeutung
sind. So geht aus ihnen beispielsweise das Einzugsgebiet der Accademia hervor : Die
Mehrzahl der Beiträge stammt aus Oberitalien, an zweiter Stelle folgt das Trentino,
dann kommen Nordtirol (d.h. Innsbruck) und der deutsche Sprachraum generell.
Die eingesandten Schriften verteilen sich auf die Sprachen Lat., Italienisch (je ca.
40%–50%) und Deutsch (ca. 10–15%). Auch die Rituale, Freuden und Misslichkei-
ten des Vereinslebens spiegeln sich in Vannettis Sermones.
Kehren wir zum Schluss zur Leichenrede zurück, die bei den Agiati auch im
19.Â
Jh. weiter gepflegt wurde. Vannetti fand diesbezüglich einen Nachfolger in dem
Roveretaner Geistlichen Giovanni P. Beltrami (1780–1843), der sonst v.a. als Litur-
gieexperte und Kirchenmusiker bekannt war.8 Beltrami veröffentlichte in Rovereto
1813, 1822 und 1828 drei vor der Accademia verlesene Leichenreden auf Carolo
Tacchio, Costantino Lorenzi (s.o.) und Carlo Telanio,9 die alle von Vannettis Kon-
zeption ausgehen und diese nur in zwei Punkten modifizieren : Erstens kürzt Bel-
trami die literaturkritischen Passagen und mildert Vannettis diesbezügliche Offen-
heit. Zweitens publiziert er seine Texte als ‚Grabinschriften auf Papier‘ in preziöser
Capitalis quadrata mit Hochpunkten als Worttrennern – ein drucktechnischer Fei-
erlichkeitsgestus, der damals offenbar Mode war (s.o. zum Ellogium auf Luschin)
und im vorliegenden Fall besonders nahe lag.
Die Leichenreden von Sadis, Vannetti und Beltrami weisen eine Reihe auffälli-
ger Gemeinsamkeiten auf, die nach einer abschließenden Zusammenfassung und
8 Vgl. zu Beltrami zuletzt Bonapace 1991 (Biographie dort 9–18, Werkverzeichnis 51–53). Beltrami
scheint auch Vannettis Literaturberichterstattung weitergeführt zu haben, doch sind die erhalte-
nen Reste (vgl. z.B. den Sermo in AA, sc. 26, 138.5) spärlich. Die zahlreichen von ihm verfassten
Inschriften, meist kurze Texte, die sich um klassische Schlichtheit bemühen, stehen kaum mehr in
Zusammenhang mit der barocken Ellogia-Tradition und werden hier nicht besprochen.
9 Der Rede auf Telanio ist eine italienische Übersetzung beigegeben (11–14), ut et uxor […], nepotes
[…] ac familiares gustare omnes possint (3 ; „damit auch seine Frau […], seine Enkel […] und alle
seine Verwandten und Bekannten sie genießen können“). Sowohl die Zweisprachigkeit an sich als
auch die explizite Angabe ihres Zwecks stellt eine interessante Ausnahme dar.
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Volume 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- TYROLIS LATINA
- Subtitle
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Volume
- 2
- Authors
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Editor
- Karlheinz Töchterle
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 728
- Keywords
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Von der Gründung der Universität bis zur Aufhebung des Jesuitenordens (1773) Epochenbild (Lav Šubarić) 610
- Dichtung (Martin Korenjak) 620
- Theater (Stefan Tilg) 660
- Beredsamkeit, Dialog, Rhetorik (Florian Schaffenrath) 701
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić/Florian Schaffenrath/Patrik Kennel) 726
- Biographisches Schrifttum (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 778
- Brief (Wolfgang Kofler) 788
- Sprachdidaktik, Poetik, Philologie (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 797
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 807
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 833
- Medizin (Lukas Oberrauch) 862
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne/Erika Kustatscher) 875
- Von der Vertreibung der Jesuiten bis zur Revolution 1848 Epochenbild (Florian Schaffenrath) 909
- Dichtung (Florian Schaffenrath) 918
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 941
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath/Erika Kustatscher) 953
- Biographisches Schrifttum (Patrik Kennel/Martin Korenjak) 980
- Brief (Wolfgang Kofler) 989
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 998
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 1022
- Medizin (Lav Šubarić) 1046
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 1056
- Von der Revolution 1848 bis heute Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 1073
- Dichtung (Stefan Tilg) 1079
- Prosa (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 1109
- Abkürzungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1159
- Bibliothekssiglen (Johanna Luggin) 1161
- Bibliographie (Johanna Luggin) 1162
- Abbildungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1265
- Index nominum (Johanna Luggin) 1271
- Index geographicus (Johanna Luggin/Simon Wirthensohn) 1299
- Index rerum (Johanna Luggin) 1310
- Verzeichnis der Autorinnen und Autoren 1322