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988 Von der Vertreibung der Jesuiten bis zur Revolution 1848
präventive
Verteidigung
des Stils
Rezeption : Kritik
und Erfolg der Vereinigung der Mauerbrüder“ (ein Ausdruck, den sie für „Freimaurer“ gebrauchten)
„und ist vielleicht von ihnen gesandt, die Kranken zu pflegen, die in der Welt sind, und
spendet aus ihrer Kasse und ihrem Schatz. Sie sagen nämlich, dass sie als erste Vorschrift
haben, allen Gutes zu tun.“
Wie seine Unparteilichkeit verteidigt Vannetti auch seinen Stil gegen potenzielle
Kritiker : In § XV zeigt er sich selbst (als iuvenis scribens haec, „junger Mann, der
dies hier schreibt“) im Gespräch mit einem Bekannten, der den Verdacht äußert,
er profaniere auf diese Art die Evangelien. Er antwortet ihm, er plagiiere ja nicht,
und die Worte selbst seien gemeinfrei ; der Stil der Evangelien passe zu jemandem,
der so hohe AnsprĂĽche erhebe wie Cagliostro ; er sei ja nicht nur auf Jesus, sondern
(in den Apokryphen) auch auf Scharlatane wie Simon Magus angewandt worden ;
schlieĂźlich komme er auch in anderen Texten zur Anwendung, z.B. in Ă„sopfabeln.
Der Herausgeber verweist im Vorwort auf diese Argumentation und fĂĽgt fĂĽr den
Fall, dass sie nicht überzeugen sollte, hinzu, es könne auch sein, dass Vannetti mit
seinem stilistischen Experiment einfach spielerisch die eigenen sprachlichen Fähig-
keiten austesten wollte (Opere, Bd. 7, 3).
Vannettis Vorsicht nĂĽtzte wenig : Sein Buch sah sich von Anfang an heftiger
Kritik ausgesetzt. Die lokale und regionale Aristokratie, v.a. insofern sie zum Frei-
maurertum tendierte, sah sich bloĂźgestellt, Geistliche fanden den Stil blasphemisch
(Opere, Bd. 7, v–vi).5 Gleichzeitig jedoch bescherten sein Faktenreichtum, seine
Entscheidung, das Mysterium Cagliostro als solches anzuerkennen, und die zwi-
schen Heiligkeit und Blasphemie changierende Aura, mit der gerade sein Stil den
Wundertäter umgab, dem Liber memorialis großen, auch internationalen, Erfolg.
Er wurde vielerorts rezensiert, zweimal ins Italienische und einmal ins Deutsche
ĂĽbersetzt und bis Anfang des 20. Jhs. mehrfach als der objektivste und wertvollste
Bericht gewĂĽrdigt, den wir ĂĽber Cagliostro besitzen. Dass man dabei allen Beteu-
erungen Vannettis zum Trotz hartnäckig an der Vorstellung festhielt, dieser stehe
Cagliostro im Grunde ironisch gegenĂĽber,6 ist wohl darauf zurĂĽckzufĂĽhren, dass
man sich sträubte, den soliden Gelehrten in allzu große Nähe zum anrüchigen
Wundermann zu rĂĽcken.
5 Vannetti antwortete auf den zweiten Punkt nochmals in den Riflessioni sopra la Cronaca del Caglios-
tro (Opere, Bd. 7, 33–36) in ähnlicher Weise, aber ausführlicher als im Liber memorialis selbst.
6 Vgl. neben Romagnani 1998, 220–228 und den von ihm angeführten Zeugnissen (221 Anm. 42)
etwa noch den Anonymus 1790, der dem Autor zwar bescheinigt : „Vielleicht ist nichts unparteyi-
scheres über Cagliostro geschrieben, als diese Broschüre“, dann aber im Liber memorialis trotzdem
„schalkhaft[e] […] Absicht“ und „feinste[n] Sarkasmus“ erkennen will.
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Volume 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- TYROLIS LATINA
- Subtitle
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Volume
- 2
- Authors
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Editor
- Karlheinz Töchterle
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 728
- Keywords
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Von der Gründung der Universität bis zur Aufhebung des Jesuitenordens (1773) Epochenbild (Lav Šubarić) 610
- Dichtung (Martin Korenjak) 620
- Theater (Stefan Tilg) 660
- Beredsamkeit, Dialog, Rhetorik (Florian Schaffenrath) 701
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić/Florian Schaffenrath/Patrik Kennel) 726
- Biographisches Schrifttum (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 778
- Brief (Wolfgang Kofler) 788
- Sprachdidaktik, Poetik, Philologie (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 797
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 807
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 833
- Medizin (Lukas Oberrauch) 862
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne/Erika Kustatscher) 875
- Von der Vertreibung der Jesuiten bis zur Revolution 1848 Epochenbild (Florian Schaffenrath) 909
- Dichtung (Florian Schaffenrath) 918
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 941
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath/Erika Kustatscher) 953
- Biographisches Schrifttum (Patrik Kennel/Martin Korenjak) 980
- Brief (Wolfgang Kofler) 989
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 998
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 1022
- Medizin (Lav Šubarić) 1046
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 1056
- Von der Revolution 1848 bis heute Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 1073
- Dichtung (Stefan Tilg) 1079
- Prosa (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 1109
- AbkĂĽrzungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1159
- Bibliothekssiglen (Johanna Luggin) 1161
- Bibliographie (Johanna Luggin) 1162
- Abbildungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1265
- Index nominum (Johanna Luggin) 1271
- Index geographicus (Johanna Luggin/Simon Wirthensohn) 1299
- Index rerum (Johanna Luggin) 1310
- Verzeichnis der Autorinnen und Autoren 1322