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1018 Von der Vertreibung der Jesuiten bis zur Revolution 1848
Exegese :
Unterkircher,
Hermeneutica „sozusagen ein Mittelweg zwischen starrer Strenge und übertriebener Nachsicht“)
beschreiten. Von hoher politischer Relevanz sind Feichters Anmerkungen zur Ehe
(182–186) : Sie betonen nicht nur ihren sakramentalen Charakter, sondern beziehen
auch jene Ăśberlegungen ein, aufgrund derer 1820 in Tirol der sogenannte politische
Ehekonsens eingefĂĽhrt wurde, durch den die Obrigkeit die Entstehung proletari-
scher Familien zu verhindern suchte (Mantl 1997, 9). So mahnt Feichter etwa : Ne
meditentur matrimonium, si non habent solidam spem fore, ut familiam possint alere,
quin cogatur proles mendicare. (184 ; „Sie [d.h. die jungen Leute] sollen nicht an die
Ehe denken, wenn sie nicht begründete Hoffnung haben, eine Familie ernähren
zu können, ohne dass die Kinder betteln gehen müssen.“) Dass Feichter auch ein
Menschkenner mit groĂźer Lebenserfahrung war, verraten beispielsweise seine zahl-
reichen Vorschläge für Gesprächsthemen bei Krankenbesuchen (106–128).
Als letzte theologische Subdisziplin sei die Bibelwissenschaft besprochen. In der
20er- und 30er-Jahren des 19. Jhs. wurde dieses Fach am Trientner Priesterseminar
durch Kaspar Unterkircher (1775–1836) aus Prad am Stilfserjoch vertreten, der
in Innsbruck studiert, 1799 die Priesterweihe empfangen und 1817 das Doktorat
der Philosophie erworben hatte (Wurzbach 49, 49–50 ; Gasser 4, 121–122). 1831
pu bli zierte er in Innsbruck seine Hermeneutica biblica generalis iuxta formam stu-
dii theologici in imperio Austriaco praescriptam („Allgemeine biblische Hermeneutik
gemäß der in Österreich vorgeschriebenen Form des Theologiestudiums“). Wie er
selbst im Vorwort angibt, basiert das Buch auf Altmann Ariglers Hermeneutica bib-
lica generalis (Wien 1813) ; die Vorlage ist aber so stark erweitert und umgearbeitet,
dass das Ergebnis durchaus als Werk sui iuris gelten kann. Es weist eine durchlau-
fende Paragraphenzählung auf und gliedert sich, wie dem Inhaltsverzeichnis und
einer Übersicht in § 29 zu entnehmen ist, in eine Einleitung (§§ 1–29), die, begin-
nend mit der Definition der Hermeneutik als ars vel scientia declarandi cogitatuum
indicia qualiacumque (§ 1 ; „Kunst oder Wissenschaft, jede beliebige Art von Be-
zeichnungen für Gedanken zu erklären“), eine Reihe von Präliminarien behandelt,
sowie zwei Hauptteile zu je vier Abschnitten. Der erste (§§ 30–158) spricht de sensu
inveniendo („über das Herausfinden des Sinns“), was mithilfe des Sprachgebrauchs
(§§ 30–64) und der geistigen Physiognomie des Autors (§§ 65–93), des nexus („Ver-
knüpfung“, d.h. Kontext einerseits, Gedankengang andererseits ; §§ 94–114) und
der Werkintention (§§ 115–158) geschieht. Der zweite (§§ 159–181) handelt de
sensu invento rite exponendo („über den richtigen Vortrag des herausgefundenen
Sinns“) mittels Übersetzung (§§ 162–167), Paraphrase (§§ 168–171), Glossierung
(§§ 172–175) und Kommentar (§§ 176–181). Diese Zweiteilung reflektiert wohl
nicht zufällig die Struktur eines frühen Klassikers der Bibelhermeneutik : Augus-
tinus’ De doctrina Christiana besteht ebenfalls aus einem im eigentlichen Sinne
hermeneutischen (Bücher 1–3) und einem rhetorischen Teil (Buch 4).
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Volume 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- TYROLIS LATINA
- Subtitle
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Volume
- 2
- Authors
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Editor
- Karlheinz Töchterle
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 728
- Keywords
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Von der Gründung der Universität bis zur Aufhebung des Jesuitenordens (1773) Epochenbild (Lav Šubarić) 610
- Dichtung (Martin Korenjak) 620
- Theater (Stefan Tilg) 660
- Beredsamkeit, Dialog, Rhetorik (Florian Schaffenrath) 701
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić/Florian Schaffenrath/Patrik Kennel) 726
- Biographisches Schrifttum (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 778
- Brief (Wolfgang Kofler) 788
- Sprachdidaktik, Poetik, Philologie (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 797
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 807
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 833
- Medizin (Lukas Oberrauch) 862
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne/Erika Kustatscher) 875
- Von der Vertreibung der Jesuiten bis zur Revolution 1848 Epochenbild (Florian Schaffenrath) 909
- Dichtung (Florian Schaffenrath) 918
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 941
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath/Erika Kustatscher) 953
- Biographisches Schrifttum (Patrik Kennel/Martin Korenjak) 980
- Brief (Wolfgang Kofler) 989
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 998
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 1022
- Medizin (Lav Šubarić) 1046
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 1056
- Von der Revolution 1848 bis heute Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 1073
- Dichtung (Stefan Tilg) 1079
- Prosa (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 1109
- AbkĂĽrzungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1159
- Bibliothekssiglen (Johanna Luggin) 1161
- Bibliographie (Johanna Luggin) 1162
- Abbildungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1265
- Index nominum (Johanna Luggin) 1271
- Index geographicus (Johanna Luggin/Simon Wirthensohn) 1299
- Index rerum (Johanna Luggin) 1310
- Verzeichnis der Autorinnen und Autoren 1322