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1020 Von der Vertreibung der Jesuiten bis zur Revolution 1848
Modernität
Scheth zum
Matthäus-
evangelium können, die aber Gott dennoch nicht weniger als die Gelehrten und Philosophen zu seiner
Religion und zum ewigen Heil gerufen hat.
Noch dazu ist die Bibel erfahrungsgemäß vieldeutig, weshalb Gott die Überlieferung
der Dogmatik vielmehr der offiziellen Kirche unter Petrus und seinen Nachfolgern
anvertraut hat (§ 123). Schließlich waren die Autoren des NT selbst hinsichtlich
ihrer Schriften offenbar recht sorglos. Diese wurden eher zufällig überliefert und
später aus Pietät und historischem Interesse gesammelt. Ihr vielfach verderbter Text
bezeugt, wie nachlässig man in den ersten Jahrhunderten mit ihnen umging. Des-
halb erkannten die Väter von Anfang an auch Kirche und Tradition an, während
viele Häretiker sich ausschließlich auf die Bibel stützten (§ 124).
Unterkirchers philologisch-historischer Blick auf die Bibel wirkt völlig modern,
und die Argumentation, die er hiervon ausgehend entwickelt, scheint in ihrer Strin-
genz zumindest in seiner Zeit durchaus innovativ. Dass damit ausgerechnet er als
Bibelwissenschaftler die Bedeutung seines eigenen Gegenstandes fĂĽr das Christen-
tum minimiert, wirkt ironisch, demonstriert dabei jedoch exemplarisch eine um-
fassendere geistesgeschichtliche Ironie : Letztlich hat gerade die intensive historische
Auseinandersetzung mit der Heiligen Schrift, die sich im Rahmen der Bibelexegese
entwickelte, dazu gefĂĽhrt, dass diese, ĂĽberspitzt formuliert, zu einem Buch wie
andere wurde.13
Ein gewichtiges Dokument exegetischer Praxis legte schlieĂźlich gegen Ende der
Epoche Josef Scheth Ritter von Bohuslav (1764–1854) mit seinen fast 1000 Seiten
starken Praelectiones in evangelium Sancti Matthaei („Vorlesungen über das Mat-
thäusevangelium“ ; Innsbruck 1847) vor. Die Eckdaten zu seiner Biographie teilt
er im Vorwort mit : Geboren in Tessenberg (Osttirol), studierte er in Innsbruck,
wurde 1792 zum Priester geweiht und war nach Jahren als Seelsorger und Gymna-
siallehrer von 1801 bis 1806 an der Universität Innsbruck für die Heilige Schrift
zuständig. Danach ging er an die Universität Olmütz und wurde später zum Gu-
bernialrat und zum Domherrn in BrĂĽnn, schlieĂźlich zum Domherrn und Dom-
propst in Brixen ernannt.14 Seine innere Entwicklung, die er ebenfalls im Vorwort
schildert, wirkt typisch für einen Theologen zwischen Aufklärung und katholischer
Restauration : Zum einen nennt er in kantisch anmutender Manier als AnstoĂź, den
geistlichen Stand zu wählen, die Faszination sternklarer Nächte, die ihn zur Frage
nach dem Schöpfer veranlasst habe (II) ; zum anderen sei er bald zur Überzeugung
gelangt, cavendum esse a […] novandi tunc grassante febri (X ; „man müsse sich vor
13 Vgl. Gadamer 1975, 256 : „Indem sie [die Bibel] als ein historisches Dokument verstanden wird,
gefährdet die Bibelkritik ihren dogmatischen Anspruch.“ S. auch sein Register s.v. Bibelkritik.
14 Vgl. Probst 1869, 250, 271 ; Gasser 3, 234 ; Gelmi 1986, 218 ; 2007, 181–182.
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Volume 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- TYROLIS LATINA
- Subtitle
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Volume
- 2
- Authors
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Editor
- Karlheinz Töchterle
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 728
- Keywords
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Von der Gründung der Universität bis zur Aufhebung des Jesuitenordens (1773) Epochenbild (Lav Šubarić) 610
- Dichtung (Martin Korenjak) 620
- Theater (Stefan Tilg) 660
- Beredsamkeit, Dialog, Rhetorik (Florian Schaffenrath) 701
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić/Florian Schaffenrath/Patrik Kennel) 726
- Biographisches Schrifttum (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 778
- Brief (Wolfgang Kofler) 788
- Sprachdidaktik, Poetik, Philologie (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 797
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 807
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 833
- Medizin (Lukas Oberrauch) 862
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne/Erika Kustatscher) 875
- Von der Vertreibung der Jesuiten bis zur Revolution 1848 Epochenbild (Florian Schaffenrath) 909
- Dichtung (Florian Schaffenrath) 918
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 941
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath/Erika Kustatscher) 953
- Biographisches Schrifttum (Patrik Kennel/Martin Korenjak) 980
- Brief (Wolfgang Kofler) 989
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 998
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 1022
- Medizin (Lav Šubarić) 1046
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 1056
- Von der Revolution 1848 bis heute Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 1073
- Dichtung (Stefan Tilg) 1079
- Prosa (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 1109
- AbkĂĽrzungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1159
- Bibliothekssiglen (Johanna Luggin) 1161
- Bibliographie (Johanna Luggin) 1162
- Abbildungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1265
- Index nominum (Johanna Luggin) 1271
- Index geographicus (Johanna Luggin/Simon Wirthensohn) 1299
- Index rerum (Johanna Luggin) 1310
- Verzeichnis der Autorinnen und Autoren 1322