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1036 Von der Vertreibung der Jesuiten bis zur Revolution 1848
Grundcharakter Philosophia practica. Da der Mensch theoretisch im Sein und Dasein ganz von Gott ab-
hängt, ist er auch praktisch verpflichtet, allein nach Gottes Willen zu handeln. Von dieser
göttlichen Daseinsbegründung des Menschen leitet sich das Naturrecht im Gegensatz zum
positiven Recht ab. Der eigentliche Hauptteil folgt in sechs Abteilungen : 1. Ursprung des
Naturrechts : Hauptmeinungen ; erstes Prinzip und höchstes Gesetz ; menschliche Macht
der Gesetzgebung. Gott ist der metaphysische Ursprung des Naturgesetzes, und dieses ist
das Fundament aller Zivilisation. Wie Karl Ludwig von Haller8 gezeigt hat, entspringt die
weltliche Manifestation des göttlichen Gesetzes der „väterlichen Gewalt“ (patria potestas)
und der Familie ; 2. Das menschliche Gesetz, seine Einteilung und seine Auslegung ; Ge-
wissensurteile nach katholischen Moralsystemen (Probabilismus, Probabiliorismus etc.) ;
3. Pflichten des Menschen gegenĂĽber Gott (Kult und Opfer) ; 4. Pflichten des Menschen
gegenüber Mitmenschen (Menschlichkeit, besonders Nächstenliebe ; Pietät ; Gebrauch der
Dinge gemäß ihrer Geschaffenheit durch Gott ; Pflichten der Freundschaft und gegenüber
Wohlverdienten) ; 5. Vertragspflichten : Begriff des Vertrags ; aus Angst und Irrtum ein-
gegangene BĂĽndnisse ; Herrschaft und Herrschaftserwerb ; Schaden und Kompensation ;
6. Ehebund und Familie : göttliches Institut der Ehe ; Ehestand ; Elternpflichten, Kinder-
pflichten und -rechte ; Ursprung der Naturgesellschaft aus der Ehe.
FĂĽr den christlichen Philosophen ist Philosophie zwar vom Glauben (fides), der aus
der Offenbarung lernt, verschieden (Bd. 1, §Â
15), aber letztlich doch selbstverständ-
lich Wissenschaft von Gott. Theoretisch lehrt sie die Erkenntnis Gottes und damit
der Wahrheit, praktisch Gott als höchstes Gut und als Quelle guter Handlungen.
Alle anderen Bereiche der Philosophie sind in diesen Grundaspekten eingeschlossen
(§ 17). Dabei wird angenommen, dass Gott als erste Wahrheit dem menschlichen
Geist intuitiv zugänglich ist. Die Kategorien des menschlichen Denkens wie Form,
Zahl und Allgemeinbegriffe sind nicht subjektive Beschränkungen im Zugang zum
Sein, sondern von Gott gegebene Möglichkeiten, objektiv an der Ideenhaftigkeit
des Seins und damit an Gott selbst als höchster Idee teilzuhaben. Lechleitner fasst
diese Grundgedanken in ein von seinen Interessen geprägtes Kompendium traditi-
oneller christlicher Philosophie mit platonischem Einschlag. Seine Leistung ist da-
bei nicht in einem originellen System oder einer neuen Entdeckung zu sehen. Aus
Lechleitners Perspektive galt es vielmehr, die unveränderlichen alten Wahrheiten in
einer neuen Vermittlung wieder zur Sprache zu bringen. Einmal abgesehen von dem
8 Karl Ludwig von Haller wird mit seinem Hauptwerk Restauration der Staats-Wissenschaft (6 Bde.,
Winterthur 1816–1834), mehrfach von Lechleitner zitiert (vgl. z.B. §§ 2, 15, 27, 29, 195) und hat
groĂźen Einfluss auf seine Vorstellungen vom Naturrecht ausgeĂĽbt. Vielleicht ist es Haller zu ver-
danken, dass Lechleitner seine Abhandlung mit dem Naturrecht beginnt und es sogar in den Titel
aufnimmt.
TYROLIS LATINA
Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol, Volume 2
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Title
- TYROLIS LATINA
- Subtitle
- Geschichte der lateinischen Literatur in Tirol
- Volume
- 2
- Authors
- Martin Korenjak
- Florian Schaffenrath
- Lav Šubarić
- Editor
- Karlheinz Töchterle
- Location
- Wien
- Date
- 2012
- Language
- German
- License
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-78868-3
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 728
- Keywords
- Neo-Latin, Tyrol, History, Literature, Neu-Latein, Tirol, Literatur, Geschichte
- Categories
- Geschichte Historische Aufzeichnungen
Table of contents
- Von der Gründung der Universität bis zur Aufhebung des Jesuitenordens (1773) Epochenbild (Lav Šubarić) 610
- Dichtung (Martin Korenjak) 620
- Theater (Stefan Tilg) 660
- Beredsamkeit, Dialog, Rhetorik (Florian Schaffenrath) 701
- Geschichtsschreibung (Lav Šubarić/Florian Schaffenrath/Patrik Kennel) 726
- Biographisches Schrifttum (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 778
- Brief (Wolfgang Kofler) 788
- Sprachdidaktik, Poetik, Philologie (Gabriela Kompatscher/Martin Korenjak) 797
- Theologie und kirchliches Schrifttum (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 807
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 833
- Medizin (Lukas Oberrauch) 862
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne/Erika Kustatscher) 875
- Von der Vertreibung der Jesuiten bis zur Revolution 1848 Epochenbild (Florian Schaffenrath) 909
- Dichtung (Florian Schaffenrath) 918
- Beredsamkeit (Martin Korenjak) 941
- Geschichtsschreibung (Florian Schaffenrath/Erika Kustatscher) 953
- Biographisches Schrifttum (Patrik Kennel/Martin Korenjak) 980
- Brief (Wolfgang Kofler) 989
- Theologie (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 998
- Philosophie und Naturwissenschaft (Stefan Tilg/Martin Korenjak) 1022
- Medizin (Lav Šubarić) 1046
- Rechtswissenschaft (Christine Lehne) 1056
- Von der Revolution 1848 bis heute Epochenbild (Karlheinz Töchterle) 1073
- Dichtung (Stefan Tilg) 1079
- Prosa (Erika Kustatscher/Martin Korenjak) 1109
- AbkĂĽrzungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1159
- Bibliothekssiglen (Johanna Luggin) 1161
- Bibliographie (Johanna Luggin) 1162
- Abbildungsverzeichnis (Johanna Luggin) 1265
- Index nominum (Johanna Luggin) 1271
- Index geographicus (Johanna Luggin/Simon Wirthensohn) 1299
- Index rerum (Johanna Luggin) 1310
- Verzeichnis der Autorinnen und Autoren 1322