Seite - 92 - in Grillparzers sämtliche Werke - Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern, Band II
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II. Gedichte.
Ohne Heim.
Wenn der Vogel singen will,
Sucht er einen Ast,
Nur die Lerche trägt beim Snng
Eigne, leichte Last.
Doch der Fink, die Nachtigall,
Selbst der muntre Spatz
Wählen, eh' die Kehle tönt,
Für den Fuß den Platz.
Gebt mir, wo ich stehen soll,
Weist mir das Gebiet,
Und ich will euch wohl erfreun
Noch mit manchem Lied,
Sturm, man weiß, ist Wind;
Wähnen, wenn der Ast sie schnellt,
Tnß sie flügge sind.
Und hier Landes dunkelt's tief,
Nacht wie Pech uud Harz,
In den Zweigen nächst dem Stamm
Nisten Tohlen schwarz,
Kauz und Eule damisch dumm
Schaun zum Astloch 'raus,
Nur der Ttarmatz schwatzt vom Platz,
Kanzelt für das Haus,
Auf vom Boden dumpf,
Und die Frösche quaken laut
Aus verjährtem Sumpf,
Und so schweb' ich ew'gen FlngZ
Zwischen Erd' und Luft,
Und kein Platz dem müden Fuß,
Als dereinst die Gruft.
Entjngung.
<Pari§ 183°,> -
Eins ist, was altersgraue Zeiten lehren
Uud lehrt die Sonne, die erst heut getagt:
Tes Menschen cw'ges Los, es heißt: Entbehren,
Und kein Besitz, als den du dir versagt,
Tie Speise, so erquicklich deinem Munde,
Beim frohen Fest genippter Götterwein,
Tes Teuren Kuß auf deinem heißen Munde,
Tein wär's? Sieh zu! ob du vielmehr nicht sein,
Tcnn der Natur alther notwcud'gc Mächte,
Sie hassen, was sich freie Bahnen zieht,
Als vorenthalten ihrem ew'gen Nechte
Uud reißcn's lauernd in ihr Machtgcbiet.
All', was du hältst, davon bist du gehalten,
Es sieht Genuß sich vom Bedarf gespalten,
Und eine Pflicht knüpft sich an jedes Necht,
Nur was du abweis'st, kann dir wiederkommen,
Was du verschmähst, naht ewig schmeichelnd sich,
Erhältst du dir das einzig Tcine: Nich! Incud»«.
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Fragst du mich, wie er heißt,
Jener finstere Geist,
?er meine Vrust »at zum Neich,
T^>0n ich so düster und bleich?
Unfried' ist cr a^nennt,
Weil er den Frieden nicht kennt,
Weil er den Frieden nicht gönnt
Jemals der Brust, wo er brennt,
Ter hat im Pus^i scin Neich,
Tcr macht mich düsl« »,,d bleich,
Seit er inich emmal gefaßt.
Lagert er brütend sich vor,
Zeiget mir Wolken znr Hand,
Wolken — und leinen Bestand.
Alles der Menschen Gewühl
Nennt er Getricb' ohne Ziel:
Ob ich's auch anders gewnsu,
Schweigt er das Haupt durch die Vrnst.
Flücht' ich zu ihr, die mein Glück,
Tadellos jeglichem Blick,
Er findet Tadel nur auf.
Wär's aus der Hölle herauf.
Und auf den Punkt, den er !M'i,,t,
Hält er die Lichter vereint,
Lacht fie — so nennt er sie leicht,
Schweigt sie — voll anderer Glut,
Durchzubrechen den Arang,
Frei, mit des Geistes Gewalt
Durch, bis zu Licht und Gestalt?
Unter der Hand es sich bildet und hebt,
Lebendiges Leben das Tote belebt,
Und es nun dasteht, ein atmendes Bild,
Vom Geiste des All und des Bildners erfüllt:
Da stieht er hinein sich mit list'gem Bemerk,
Und grinset mich an aus dein eigenen Werk:
„Bin's, Meister! nur ich, dem die Wohnung du
wölbst;
Sieh! nichtig dein Wcrtlein und nichtig du
selbst."
Und schaudernd seh' ich's, entfetzcnbetört,
Wie mein eigenes Selbst gen mich sich empört,
Verwünsche mein Werk i«>d mich selber ins
Grab —
Tann folgt er a-uch dahin wohl quälend
hinab!? —
Grillparzers sämtliche Werke
Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern, Band II
- Titel
- Grillparzers sämtliche Werke
- Untertitel
- Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern
- Band
- II
- Herausgeber
- Rudolf von Gottschall
- Verlag
- Hansa-Verlag
- Ort
- Hamburg
- Datum
- 1906
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 11.2 x 15.9 cm
- Seiten
- 552
- Schlagwörter
- Dramatik, Literatur, Gedichte
- Kategorien
- Weiteres Belletristik