Seite - 95 - in Grillparzers sämtliche Werke - Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern, Band II
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, Lebensbilder. 95
Nie Zunge spricht es aus, was sie gewonnen,
Und der Gedanke tritt, ein Nengeborncr,
Ein schneller Läufer, rennt er seine Bahn,
Und Hai er sich in haus und Feld gesättigt.
Wich hat der Menschen wildbewegtes Treiben
Im Innersten verwirret und zerstört.
Nah dein Erliegen rief ich, wie der Müde
Den Schlummer ruft — zerstreuendes Vergessen
Und wiegte mich anf feincni weichen Pfühl,
Nun aber schlägt die Stunde des Geschäfts,
Ich rufe Kraft und Mut, allein sie schweifen.
Des sorglos müden Leiters Hand entschlüpft,
einen;
Einmal geweckt, treibt sie die eigne Glut,
Ver Halbmond glänzet am Himmel . . .
3er Halbmond glänzet am Bimmel,
Und es ist ncblicht und talt.
Gegrüßt sei du Halber dort oben.
Wie du, bin ich einer, der halb.
Halb gut, halb übel geboren.
Und dürftig in beider Gestalt,
Mein Gutes ohne Würde,
Das Böse ohne Gewalt,
Halb schmeckt' ich die Freuden des Lebens,
Nichts ganz als meine Neu';
Die ersten Visscn gcnussen,
Halb gab ich mich hin den Musen,
Und sie erhörten mich halb;
Hart auf der Hälfte des Lebens
Entflohn sie und ließen mich alt.
Doch läßt die Zersplitterung nach:
Die leere halste der Seele
Foiischri«.
Die Zeit, sie eilt so schnell voraus,
Und ich, ich blieb znri,c! :
Ich schäme mich. Was lomnit heraus?
Es bleibt ein Mißgeschick,
Doch stürmt sie fort, unbändig jach.
Kaum reicht so fern mein Blick;
Und ich, ich blieb znrnck.
Vielleicht kehrt wieder sie des Wegs —
Vielleicht — hat fie fich müd gerannt -^
tzol' ich fie doch noch ein.
Der Gang der Welt ist nickt so rasch,
Als Torheit nieint nnd spricht:
Man weiß wohl, Flügel hat die Zeit,
Tie Zeiten aber nicht. Hoch auf schwindligen Ttegen . . .
Hoch auf schwindligen Stegen
Tankt ihm's ein freundlicher VUck,
Aber verweigert's zn tominen,
Ist auch die Stütze genommen,
Vin ich doch selber nock da,
Jagd im Winter.
Die Bäume kahl, die Büsche Gereis,
Ihr Lächeln den Fluren genommen.
Ich nenne willkommen dick, blinlendes Eis,
Dich, starrenden Winter, willkommen.
Als noch die Menschheit im Lenze lag,
Da stand ihr wohl ein Frühlingstag,
Nun mag sie sich anders erweisen,
Willkommen, ihr Felder, erstarrt und beschneit,
Wir leben ja doch in eiserner Zeit,
Wohl Paart sich Eis zn den, E,,Vn,
Des Dichters Leier verklingt, verstummt,
Kaum daß noch die Klage wie Heimchen summt,
Kein Spiel, kein Preis, kein Sieger,
Das Nohr gehoben, den Hahn gespannt,
Als Jäger, wenn nicht als Krieger!
Und wenn es knallt, nnd wenn es trifft.
Im Finstern horchen und harren.
O Winter der Fluren! stürme nur zu,
Der Geister Winter ist kälter als dn,
Nur abends daheim am Fenerherd,
Da sei auch ein einziger Seufzer gewählt
Nach Lenz und Blüten nnd Früchten,
Die Zwietracht des Innern zn schlichten.
An der Wiege eines Kindes.
Da liegt sie, eingehüllt,
Die hilflose Kleine!
Eine Blume an Schönheit
Und an Bewußtlosigkeit, daß sie schön.
Ein leeres Blatt die Seele;
Die Sinne Griffel ohne Führer:
Der Verstand ein Schreiber, tief im Schlaf.
Kein Geist rief noch: es werde Licht!
Über der dunkeln Urnacht;
Und Mensch- und Ticrhcit streiten,
Wem sie gehört,
Sie lächelt, — Warum?
Sie weint, — Weswegen?
O, laßt sie weinen, lächeln ohne Grund;
Gebt diefe Kunst ihr mit ins Leben!
Grillparzers sämtliche Werke
Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern, Band II
- Titel
- Grillparzers sämtliche Werke
- Untertitel
- Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern
- Band
- II
- Herausgeber
- Rudolf von Gottschall
- Verlag
- Hansa-Verlag
- Ort
- Hamburg
- Datum
- 1906
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 11.2 x 15.9 cm
- Seiten
- 552
- Schlagwörter
- Dramatik, Literatur, Gedichte
- Kategorien
- Weiteres Belletristik