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v. Aus dem Reiche der Kunst und Literatur. 115
Doch lomint ein hoher Namenstag,
Fühlt alle Welt sich weich,
Ei eilet, was er eilen mag.
Und schreibt ein Carmen gleich.
Und treibt er sich nicht rastlos um.
Wär's gar die höchste Not,
Fand' erst ein Übergang ihn stumm.
Er gälte gleich für tot.
Soweit nun hat's der Nichter schlecht,
Weil, wenn das 28 as dem Pöbel recht,
Er gern das Wie verzeün.
Den Zeitgenosse».
0850,,
Euch kann mein Lied, ich fühl s, nicht mehr gc°
E3 ist zu karg, zu dürftig und zu tlein.
Faßt euch nicht gern in enge Schranken ein.
Die Außenwelt verführte meine Blicke,
In der sich alles rundet nnd ergänz,
Kein Leeres irgend, nirgends eine Lücke,
Und jede Bildung Uoll und scharf begrenzt.
Und da die Kraft mir nicht so reichlich mnllt,
Wählt' ich bescheiden streng geschloßnc Rahmen
Für mein dem Leben nachgeschaffncs Bild,
Ihr aber habt der Wesen Grund ergründet,
Nie Gottheit selber liegt euch auf der Hand;
Wenn ja ihr etwas unbegreiflich findet,
Ist's, daß man je es unbegleiflicl, fand.
Das Schöne, das ein Rätsel uns, den Schwachen,
Ihr habt's gelöst mit ^liiwz und mit ?w8,
Zwar lönnt ihr vorderhand nichts wirtlich
Doch wißt ihr, wie man's machen soll und mus>
So schreitet ihr denn fort im Riesenschritte;
Die Tat selbst, die sonst Denkern nicht gelingt,
.Habt ihr ersaßt, od zwnr nach Dichters Sitte,
Der Handlung nennt und Fabel, was er singt.
Am ^aum der Freiheit habt ihr kühn gerüttelt,
Nur ist er kuorrig uud bewahrt die Frucht;
Doch wenn sie je der Sturm vom Aste schüttelt,
Ihr lest sie auf uud lobt dran, was gesucht.
Für euch nun, die dem llln'lilun im 3chos;e,
Die ihr versteht der Schöpfung Allmachtruf,
Vor denen klar das ssleine und das Große,
Ist freilich arm, was ich bescheiden schuf.
Allein bedenkt doch: die Natur ist sparsam,
Mit Gleichen, seit dem Anfang, hielt sie Haus,
Was allzuviel, nimmt rück sie in Gewahrsam
Und gleicht dnrch Kargheit die Verschwendn»,-,
aus.
Auf jed: Zeit von Necken und Heroen
Und die Giganten, die dem Bimmel droben,
Sie schrumpfen auf das Maß der Mensche» ein. 3o folgt, die Form, die cnch erzcngt, gebrochen,
Ein Enkclvolk, das fich um cnch bewegt
Wie um fossile, starre Mammittviin'chci!
^on Tieren, wie die Welt sie nicht mehr trägt.
Ein Volk, das, wie's gewöhnlich bei den
Schwachen,
Die nur, was ist, als wirklich sprechen an,
Sich etwa gar erfrecht, euch auszulachen,
A!o ob ihr viel geprahlt und nichts getan.
Das cncrn Forlschritt selber macht zum 3piele
lind fragt: ob ihr anf Reisen nicht gelernt?
Ein Fortschritt sei, was näher bringt dem Ziele,
Zu viel sei, wie zu wenig, gleich entfernt,
Wenn sich entschuld'gcn eurer Dichtung Jünger:
Nur Übergang sei jctz'ge Zeit und Frist,
Lnch gelten laßt als einer Zukunft Diiuger,
Doch nicht für Nofcn hält, was doch nur Mist;
Wenn dann die 3onne, deren Licht euch blendet,
Den Kreis erleuchtet, den der Mensch bewohnt,
Wenn sie von neuem Wärmestrcchlen senlxi
Und rückstrahlt vom Gefühle, das ihr Mond:
Dann kommt die Zeit der Sclbstbcschränkung
Die Gräber, die ihr grubt, sie öffnen fich,
Für eure Enkel dicht' ich meine Lieder,
Die klein wie eure Väter uud wie ich,
Lopc de Ve„a.
Tir selber mehr als ander» unbekannt,
Weil du nicht liebst, an Zahlen Zahl zu sehen,
Nein, einzeln sie verschenkst mit voller Hand,
Wo irgend Gold in unerforschte,! Klüften,
Die Wünschelrute zeigt dir seine Spnr,
Befuhrst du alle Küsten der Natur,
Uud was an Menschen, Pflanzen, Blumen,
Nur irgcud da und fich des Dafeins freut.
Das wobst du eiu, der Göttin Bild zu zieren,
Die, täglich sterbend, stündlich fich erncnt.
Die Mutter alles Wesenhaften, Gnten,
lind spiegelt sich in den tristallnen Fluten,
Ihr Selbst verwechselnd tränmrisch mit dcin
Bild,
lind lächelt sie, so lächelst du ihr wieder,
Und grollt sie, gibst dn ihr den Trott zurück,
Durchsichtig, gleich der Wahrheit, deine Lieder,
! lind tauschend nnr, weil Tänschnng auch ein
Glück,
lind so ein Kind, noch bei ergrauten Haaren,
lind auch ein Greis beim frühsten Kindesspicl,
Hast dn für all, was Menschheit je ersahren,
Ein Vild, ein Wort, den Pfad nnd auch das
Ziel,
Grillparzers sämtliche Werke
Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern, Band II
- Titel
- Grillparzers sämtliche Werke
- Untertitel
- Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern
- Band
- II
- Herausgeber
- Rudolf von Gottschall
- Verlag
- Hansa-Verlag
- Ort
- Hamburg
- Datum
- 1906
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 11.2 x 15.9 cm
- Seiten
- 552
- Schlagwörter
- Dramatik, Literatur, Gedichte
- Kategorien
- Weiteres Belletristik