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Der arme Spielmann. 185
Kuchcnverkänferin gekommen war, nnd glauben
tonnte, daß der Hauptandrang der «nnden
vornder sei, Tann ging ich hinaus, zog mein
Papier hervor, nahm mir ein Herz und trat
zn dcin Mädchen hin, die, den Korb vor sich
auf dem Boden und den rechten Fuß auf einen
Schemel gestellt, auf den: sie gewöhnlich zu sitzen
pfl^te, dastand, leise summend und mit dem
ans den Schemel gestützten Fuß den Talt dazu
tretend, Sie maß mich vom Kopf bis zu den
Füßen, als ich näher kam, was meine Verlegen-
heit vermehrte, Liebe Jungfer, fing ich endlich
an, Sie haben neulich von mir Papier begehrt,
als keines zur Hand war, das mir gehörte.
Nun habe iä, we!ch>^ von Hanse mitgebracht und
— damit hielt ich ihr mein Papier hin. Ich
habe Ihnen fchon neulich gesagt, erwiderte sie,
daß ich selbst Papier zu Hanse habe. Indes man
lann al!>7> dranchen, Taniit nahm sie mit linein
leichten »opfnuk'n mein Geschenk und legte es
in den Korb, Von den >ii,,Inn wollen Sie nicht?
anch ist das beste schon fort, Ich dnntte, sagte
aber, daß ich eine andere Vitte hätte, Nu, allen-
falls? sprach sie, mit dem Ärni in die Handhabe
des Korbes fahrend und aufgerichtet dastehend,
wobei fic mich mit heftigen Augen anblitzte.
Ich siel rasch ein, daß ich ein Liebhaber der
Tonkunst sei, obwohl erst seit kurzem, daß ich
sie so schöne Lieder singen gehört, besonders
eines, 3ie? Mich? Lieder? fuhr fie auf, und
wo? Ich erzählte ihr weiter, daß ich in ihrer
Nachbarschaft wohne und fic auf dein Hofe bei
der Arbeit belauscht hätte. Eines ihrer Lieder
gefiele mir besonders, so daß ich's schon ver-
sucht >,äne, nni der Violine nachzuspielen, Wären
auf der Geige? — Ich war damals, wie ich
bereits sagie, nnr Anfänger und habe erst später
mit vieler Mühe die nötige Geläufigkeit in diese
Finger gebracht, unterbrach sich der alte Mann,
geigt, in der Luft hcrumfiugerte. Mir war es,
setzte er seine Erzählung sort, ganz heiß ins
Gesicht gestiegen und ich sah auch ihr an, daß
das harte Wort sie gereute, Werte Inngfer,
das Lied nicht in Noten habe, weshalb ich anch
blichst um die Abschrift gebeten haben wollte.
Um die Abschrift? sagte sie, Vas Lied ist ge-
druckt uud wird an den Straßenecken verkauft,
^as Lied? entgegnete ich, Tas sind wohl nur
die Worte, — Nun ja, die Worte, das Lied, —
Aber der Ton, in dem man's singt, — Schreibt
man denn derlei anch auf? fragte sie. Freilich!
war meine Antwort, das ist ja eben die Haupt-
^,m,if«? — Ich hörte es singen, und da sang
ichs nach, — Ich erstaunte über das natürliche
Ingeiiimn ^ wie denn überhaupt die ungelernten
Leute oft die meisten Talente haben. Es ist
ai'i-r doch nicht das rechte, die eigentliche Knnst,
Ich war nun neuerdings in Verzwcislnng, Aber welches Lied ist es denn eigentlich? sagte sie,
Ich weiß so viele, — Alle ohne Noten? — Nun
freilich; also welches war es denn? — Es ist
gar so schön, erklärte ich mich. Steigt gleich
anfangs in die Höhe, kehrt dann in fein In-
wendiges zurück und hört ganz leise auf, Sie
das sein! sagte sie, setzte den Korb wieder ab,
stellte den Fuß auf den Schemel und sang nun
mit ganz leiser und doch klarer Stimme das
Lied, wobei sie das Haupt duckte, so schön, so
lieblich, daß, ehe sie noch zu Ende war, ich
sagte sie, den Arm zurückziehend, denn sie
meinte wohl, ich wollte ihre >>and unziemliche»
weise anfassen, aber nein, küssen wollte ich sie,
obschon sie nur ein armes Mädchen war, —
Nun, ich bin ja jetzt auch eiu armer Mann,
sagte: der Organist der Peter^tirche käme öfters
um Muskatnuß in ihres Vaters Gewölbe, den
wolle fie bitten, alles auf Noten zu bringen.
Ich könnte es nach ein paar Tagen dort nb-
wobei ich ihr das Geleite bis zur Stiege gab.
Auf der obersten Stufe die letzte Vcrbenguug
machend, überraschte mich der >lan;>eivorsteher,
der mich an meine Arbeit gehen hieß nnd anf
das Mädchen schalt, an dem, wie er beliauptete,
kein gutes Haar sei. Ich war darüber heftig
sei, als ich bemerkte, daß er bereits in sein
Ziminer zurückgegangen war, weshalb ich mich
faßte uud ebenfalls an meinen Schreibtisch ging,
Noch ließ er sich seit dieser Zeit nicht nehmen,
daß ich ein liederlicher Beamter und ein ans--
schweisendcr Mensch sei,
Icl) konnte auch wirklich desselben uud die
uud ich war wie verloren, Ein paar 3agc oer-
gangcn, wußte ich wieder nicht, ob es schon Zeit
sei, die^oten abzuholen oder nicht, Terilrganist,
hatte das Mädchen gesagt, lam in ilnes Vaters
Laden, um Muskatnuß zu kaufen i die konnte
er nur zu Bier gebrauchen, Nnu war seit
einiger Zeit kühles Wetter und daher wahrschein-
lich, daß der wackere Tonkünstler sich eher an
den Wein halten und daher so bald tcine Mus-
katnuß bedürfen werde. Zu schnell anfragen
schien mil uuhöflicheZudringlichteit, allzulangrs
Narteu konnte für Gleichgültigkeit ausgelegt
werdeu. Mit dem Mädchen auf dem Gange zu
sprechen, getraute ich niir nickt, da unsere erste
Zusammenkunft bei meinen Kmncraden ruchbar
geworden war, und fie vor V.'gicrde brannten.
Ich hatte inzwischen die Violine mit Eifer
Fnndament gründlich durch, erlaubte mir wohl
auch von Zeit zu Zeit, aus dem zlopfe zu spielen,
Grillparzers sämtliche Werke
Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern, Band II
- Titel
- Grillparzers sämtliche Werke
- Untertitel
- Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern
- Band
- II
- Herausgeber
- Rudolf von Gottschall
- Verlag
- Hansa-Verlag
- Ort
- Hamburg
- Datum
- 1906
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 11.2 x 15.9 cm
- Seiten
- 552
- Schlagwörter
- Dramatik, Literatur, Gedichte
- Kategorien
- Weiteres Belletristik