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IV. Satiren. 215
lichen diesen Gedichten nicht schon früher und
V0ii selbst verfallen ist, Tenn nicht allein, daß
sie alle das nämliche sagen, was auch bei ver-
schiedenen Autoren sonst wohl zu geschehen Pflegt,
so sagen sie's auch alle auf die nämliche Art und
Weiie, wa>5 doch l>e, verschiedenen nicht so leicht
vorlommt, Schreibart, Ausdruck, poetischerWert
und impetu» sind bei allen ganz dieselben —
natürlich, weil ich der alleinige Antor bin —,
daß ich einen Preis darauf sehen möchte, ohne
zu unterscheiden. Niese Gedichte nun, wie ich
oben, und jedermann auch sonst bemerlt, sind
sämtlich Erzeugnisse des Mißmuts und Ärgers,
Tamit hat es aber folgende Bewandtnis, Man
hat mir meine Freiheit genommen. Mit diesem
Torfe ein Stuck Weideland, auf welches meine
Vorgänger, die früheren Nachtwächter, Erlaub-
nis hatten, ein oder zwei Stück Vieh zu treiben
und so ihrer kärglichen Existenz einige, wenu
Weidegrnnd nuu hat mir der Schulze und die
Torw/meinde zn meinem größten 'Nachteil und
Schaden widrrrechtlichcrweise genommen. In
der ersten Verzweiflung wollte ich mich töten nnd
rannte mit dem Kopfe gegen die Wand, Ta
in den Ohren, Der Stoß hatte aber so wehe
getan, daß ich beschloß, ihn vorderhand nicht zn
wiederholen,' Ich sehte mich vielmehr hin und
wollte eine Tchichschrift ausarbeiten. Aber —
Gottes Wunder! — mir, der ich sonst nie einen
dicht, welches jedoch in den Ausdrücken viel zu
start war, als daß ich es, abgerechnet das Un-
schickliche der poetischen Form, bei der Ge-
um vielleicht dnrch Arucklcgung desselben —
man tann ja nicht nur eine Kuh, sondern auch
ein Talent melken — mir einigen Ersatz für
meine verlorene Freiheit zu verschaffen. Ich
armen ilindern etwas Wurst zu ihrem trocknen
Vrote nach Hanse bringen. Als ich aber meine
ökonomischen Tichtungen fortsetzen wollte, fiel mir
eden ni',luo weiier ein, Ich plagte mich: nmsonst!
Endlich plagte mich meine Frau um Vrot, nnd in dem daraus entstandenen Streite, der mit
einer erhaltenen Ohrfeige endete, entzündete sich
inilissnlltic, verzum, sagt Ovidius oder Virgilins,
nnd so war es bei mir. Meine von Geburt kalte
uud trockene Natnr findet sich nur in Zorn un!)
Ärger poetisch angeregt. Ich arbeitete nun auf
mich los, Nbcr alles war ich unzufrieden, überall
fing ich .Händel an 5 aus der Schenke wurde ich
hinausgeworfen, und aus jedem dieser Streite
einem Mistbeete eine neue poetische Vlnme empor.
Meine Gedichte, zu denen ich aus Besorgnis,
meinen Nienst zu verlieren, fremde Namen er«
borgte, machten Aufsehen und warfen mir bald
mehr ab als der Milchertran, von zehn Kühen,
Zugleich aber — und hier fängt meine Schuld
andern, in einem verbotenen, mir als echten
Teutschen völlig fremden politischeu Sinne auf»
nahm. Nichtsdestoweniger — Verbrecher, der ich
bin! — fuhr ich fort, das Mißverständnis zu
meiner Ncuncnsträger sich hätte beigchen lajsen,
ein nach Stand und Würden geehrtes hohes
Haupt durch briefliche Behelligungen in gerechten
Zorn zu versetzen, Tie Furcht, bei allfälliger
dem Tode oder wohl gar mit Verlnst meines
Amtes bestraft zu werden, zwingt mir ein frei»
williges Geständnis ab. Ich habe gefehlt. Zu«
gleich aber verspreche ich feierlich, daß, wcuii
sieben Talern preußisch, gleich vierzehn Gnldc»
rheinisch, jährlich aus der Ocmcindclassa groß«
günstig anweist, ich mich fortan als ruliiger
Staatsbürger benehmen werde, der ich in Prosa
hcit der Poesie nnd in der Sorge für Nah«
rnng und Kleidung noch so verbrecherisch cuisge»
artet haben.
Aller Welt gehorsamster
Germanikus Walhall,
Küster und Nachtwächter zu Tombau
bei Köln am Rhc!n.
Schreiben Gottes an den Bürgermeister Kirzel in Zürich.
Mein lieber Bürgermeister tzirzcl!
Es muß in gegenwärtigen radikalen Zeiten
fill uns legitime Gewalt'en doppelt erfreulich
sein, wenn w,r ^,'ich^n der Änhänglichieit an
unsere Person von «eiten her ' erhalten, von
wo wir es am wenigsten vermutet hätte», namentlich von Freidenkern und ans Freistaaten,
Die Allgemeine Zeitung vom 25, Februar hat
mir daher unendliches Vergnügen gemacht, Sie
sprechen darin klar und ulniniwunden Ihre Ge-
sinnung gegen mich aus. Sie glauben an mich!
Freundlicher Mann! Nehmen Sie dafür die
Grillparzers sämtliche Werke
Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern, Band II
- Titel
- Grillparzers sämtliche Werke
- Untertitel
- Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern
- Band
- II
- Herausgeber
- Rudolf von Gottschall
- Verlag
- Hansa-Verlag
- Ort
- Hamburg
- Datum
- 1906
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 11.2 x 15.9 cm
- Seiten
- 552
- Schlagwörter
- Dramatik, Literatur, Gedichte
- Kategorien
- Weiteres Belletristik