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!, Zur deutschen Literatur, 235
nicht geneigt gewesen zu sein, da er cininal an
Nicolai schreibt' „Tie Rolle der Emilia er-
fordert ga^ leine »unst, "liaio n»d natürlich
spieien taiu, ein inngev Kindchen ohne alle An-
tiaren? Tamil, das; Lessing erwiesenermaßen
mit dem Schlüsse nnr spät und da mit einer Ärt
Übereilung zustande kam. Er hatte sich das
ganze Stück dcntlich gemacht, unr den Schluß
nicht, und da merkte er vielleicht, dnß er ein
l'l'rlli'iiiillno 3l1niujftiel, aber ein s6)Icchtes
Trauerspiel geschriebcu hatte.
Schiller und Goethe.
Schiller geht nach oben, Goethe lummt
vo» oben,
Ealdcron: der Schiller der spauischcu Lite
ratnr, Lope de Vega: ihr GoeNie.
Ealderon: grußartiger ^iauicrist, Lopc:
Nolmmaler.
Schriftsteller, Goethe und Lope de Vcgn sind es.
Jene fcheinen es vorzugsweise zu sei», weil
sie die plulosopliisclie Tistnssion gebe», diese
Goelyc niinni! Innifig zu wenig Rücksicht aus
seiue Leser, Er widerspricht scharf, um sich
nnd tmnmert sicl, nicht darum, ob der Widec.
fpruch in all seiucr ungemilderieu Schärfe, un-
abhängig von einer gegenüberstehenden Mci°
ein Zuwenig oder Zuviel einschließe, Goethe
kann nur begriffen werden, wenn man i!,u iu
steter Polemik sich vorstellt, Eciue Polemik ist
wehrender, und am Ende bloß Selbstver-
teidigung, Goethe als Litcrator ist der kom-
pletteste Egoist, er ist seiu cigeuer Hof- und
die glimmenden Kohlen seines srüheren Tichter-
feuers zu einer nachhaltigen und wohltuenden
lohcu Vrand Schillers in vollen Flammen fand.
Es ist nicht zu fngen, was wir an Goethe
habe» würden, wenn er niit 30 Jahren Dichter
hätte bleiben tönneu uud mit 60 Minister ge-
worden wäre, statt daß es jetzt beinahe der um-
gekehrte Fall ist,
Die beste Kritik über seine, übrigens wohl
Vortreffliche, Iphigenie hat Goethe selbst aus«
gesprochen, wenn er in einem Vricfe an Schiller
lagt' er liabe fie nact, laugcr Zeit einmal wieder
durchgesehen nnd finde sie verteufelt huuiau. Goethe mag ein größerer Tichter sein, und
ist ro wohl anch, Schiller aber ist ein größeres
Mißbrauch des Geistes kränkelnden Zeit, Er
ist uicln zum Volte herabgcstiegcn, sondern hat
Fehler anrechnen mochte, bildet eben die Brücke,
auf der Wanderer von allen Büduugostufcu zu
sichten immer natürlich und selbst sein Über»
natürliches immer ein solches, welches durch sein
Vorlommen zn allen Zeiten sich als ein in der
stellt, so ist feine Form geradezu inusterhast,
Zwischen dem Allzuweiten der Engländer uud
dem Engen der alteren Franzosen bildet sie gc»
literarische Genüsse abgenüMo Vubütnm hiu-
länglich festhält, nm nicht nach allen Seiten sich
zu zerstreuen. Und wahrlich- die Ansicht oder,
Iicli, ,>der die Form ist göttlich; fie schließt aü
wie die Natur,
V'it gegeben, was es zn wünschen iclnen, Teni
Pildl,!,,,!! auszubringen, was es nicht wollte,
war sein Streben, Es hat sich lange genug, ja
wehrt, Kotzebue gab ihm, was es wollte,
Schiller sah ein, daß es etwas Hölier.'s,
Tieferes gebe, als Goelbe^ Vorwürfe, Gewiß!
Er ergriff sie uud stellte sie dar. Gut! Aber
wie? Er wurde der Licblingc-dicluei des Volts.
Gewiß, weil dieses auf das Wie nicht so sehr
zu achten Pflegt, Ich glaube felbst, daß Schillers
Gattung die höhere ist, aber Goethe war als
Individuum großer
Ihr schreit immer: Goethe! Goethe! Der
denn io lieb? Alle, Goethe der Jüngling, Goethe
der Äiann, Tcr Reifende, der Reise, ja selbst
der Überreife noch. Seine vielen Gestalten
werden doch nicht verschiedener fein, als Pfiinch-
blute und Pfirfichfrucht, die taum einen Ahn-
lichteitspuntt haben und die gleich eutzückeu,
„hoch auf dem alten Turme steht" wird als
eines der schönsten Goethcschcn Gedichte ange»
sprochen. Warum nicht? Wenn der Leser gerade
in der Stimmung ist, es selbsttätig dazu zu
machen. Ein Hauptfehler der Goethefchen lyri«
fchcn Gedichte ist aber, daß sie dem Leser zu-
erst auf den Standpunkt zu sehen, auf dem sich
der Dichter befand, da er es fchrieb, um die
Stimmung vorauszufetzen, statt zu erwecken.
Grillparzers sämtliche Werke
Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern, Band II
- Titel
- Grillparzers sämtliche Werke
- Untertitel
- Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern
- Band
- II
- Herausgeber
- Rudolf von Gottschall
- Verlag
- Hansa-Verlag
- Ort
- Hamburg
- Datum
- 1906
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 11.2 x 15.9 cm
- Seiten
- 552
- Schlagwörter
- Dramatik, Literatur, Gedichte
- Kategorien
- Weiteres Belletristik