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I. Zur deutschen Literatur. 241
Jahre» seiner Neife ausdrücklich jede Stunde
bedauert, die er niit solchen Spekulationen ver-
loren,
Wcuu niau die beiden Monologe der Elisa-
beth uud des Leicestcr wegstreichen löunte in der
Maria Stuart! Schillers grüßler Fehler ist ge-
wiß der, daß er zu oft selbst statt seiner Personen
spricht. Auch Wallcusteins Munoloae verderben
viel, >uas vorher gut gemacht war. Übrigens ist
darin leichter tadeln, als besser macheu. Wenn
man die ungeheure Menge von Faden kennt, die
sich bei einer großen Komposition unter den
Haüde'n kreuzen, so eulschuldigt man leicht, wenn
einmal ein oder der andere entschlüpft.
Entwurf eines Nricfes an den Tchillerverei»
in Leipzig,
Sie habeu mich zum MitgliedeIhresSchillcr-
Vereins gewählt; und wahrlich. Sie haben recht
getan. Nicht als wollte ich meinen eigenen Er-
zeugnissen damit eiucu besonderen Wert zu-
schreiben, aber es gibt keinen größeren Ver-
ehrer Schiller iu Tentschlnnd als mich, Goethe
mag ein großer Vichtcr sein, uud ist es wohl
auch, Schiller aber ist ein größeres Besitztum
der Nation, die starke, erhebende Eindrücke
braucht, herzcnsbcgeisteruug i» einer an Miß»
braucl, des Geistes traukeludeu Zeit, Er ist nicht
zum Volle herabgcstiegen, sondern hat sich dahin
gestellt, wo es auch den, Volke möglich wird,
zu ihm hiuaufzugclaugcn, uud die Überfülle des
Ausdrucks, die man ihm znm Fehler anrechnen
möchte, bildet eben die Brücke, auf der Wanderer
von allen Bildungsstufe» zu einer höhe gelangen
können. Sind seine Ansichten immer natürlich
uud selbst sciu Übernatürliches immer ein solches,
welches durch sein Vorkommen zu allen Zeiten
Begründetes darstellt, so ist seine Form geradezu
musterhaft, Zwifchcn dem Allznweiten der Eng-
länder und dem Engen der älteren Franzosen
ein durch literarische Weuüsse abgeuutztes Publi-
Seiten fich zu zerstreuen. Und wahrlich: die
Aufichtcu oder, will's Gott, die „Ideeu" der
Kunst find menschlich, aber die Form ist göttlich:
sie schließt ab wie die Natur,
Zur Tchillerfeier.
Meiue herreu!
Lassen Sie uns Schiller feiern als das, was
Schriftsteller und ihu nicht bloß znm "Vorwand
nehme» für weiß Gott was für politische und
staatliche Ideen, Tiefe Warnung gilt nicht dem
Publilum unserer Stadt, das die Schöpfungen
Schillers immer mit hiugcbuug, mit Begciste-
Grillp.irzerZ sämMchc Wcrlo, I I , rung, mit einer Art Andacht aufgenommen hat;
wohl aber gilt sie einem Teile der Literatur,
der durch hochmütige Theorien verführt, sich
leit schon dadurch zeigen, daß sie die Poesie iu
Deutschland halb vernichtet haben, Ter Fort-
zwei ausgezeichnete Geister, wie Schiller und
Goethe, den ungeheuren Fortschritt einmal ge-
macht haben, so braucht die Enkelwclt eine
stehen für alle Zeiten, Und wahrlich, meine
Herren! Österreich wäre berufen — wenn auch
vorderhand nicht in der Wissenschaft — doch in
der Kunst eine bedeutende Stelle einznuehmcu,
durch falsche Gründlichkeit znm Teile verloren:
ein warmes herz, eiuen offenen Sinn uud
Natürlichkeit,
Es haben einige Tagelöhner der Ionrnale
gönne ihnen die paar Groschen, die sie sich dnrch
die paar Zeilen verdienen, wobei sie noch die
Lust der Uufähigen, fich an deu Vefähigteu zu
Andererseits aber liegt mir daran, nicht etwa
die Literatur, soudcru da? Publikum, das die
eigentlichen Verehrer Schillers enthält, nicht
über meine Gesinnung im Zweifel zu laffen,
Ta muß ich nun vor allem cincu Fehler eilige»
stelien, der mir im Leben viel Schaden getan
I>at: Etwas Einfamcr in meiner Natur, und eiu
Widerwille» gegen alles Öffentliche uud Gcmciu-
Was die Feier selbst betrifft, so kauu über
nieine Gesinnung für Schiller kein Zweifel sein.
Ich habe ihn durch die Tat geehrt, indem ich
nicht Schiller für einen großen Tichtcr hielte,
müßte uli mich fclbst für gar leinen halten. Aber
nnd einem solchen hallo vorbereitet, daß die
Vermutung entsteht, man wolle dabei noch etwas
anderes feiern als Schiller, den ausgezeichneten
Tichter uud Schriftsteller: etwa das deutsche
Bewußtsein, die deutsche Einheit, d!e itnnt uud
Machtstellung Teutschlands, Tas sind schöne
Tingc! aber derlei muß sich im Nat nnd auf
dem ^chlachtfcloe zeigen. Es ist nichts gefähr-
was man nicht hat, oder etwas zu fei», wa^ mau
nicht ist. Tiefer Verdacht wird dadurch zur
I,a!deu Gewißheit, daß die Literatoreu fich au
die Spitze der Bewegung gestellt haben. Diese
haben nun dnrchans keiu siecht, Schillern als
Tichter zu feiern. Wenn mau ihre Ästhetiken,
Litcrargeschichten, Ionrualartitcl uud Kritite,i
liest, so sieht mau, daß sie au die Poesie An-
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Grillparzers sämtliche Werke
Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern, Band II
- Titel
- Grillparzers sämtliche Werke
- Untertitel
- Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern
- Band
- II
- Herausgeber
- Rudolf von Gottschall
- Verlag
- Hansa-Verlag
- Ort
- Hamburg
- Datum
- 1906
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 11.2 x 15.9 cm
- Seiten
- 552
- Schlagwörter
- Dramatik, Literatur, Gedichte
- Kategorien
- Weiteres Belletristik