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252 V. Studien.
zusammcnbranen, Ticcks Pnbliknm besteht vor
allem aus jene» falschen Goethianern, die den
Mangel an Konzentration in den letzte,, ^ i ! ^ i
Wärnie und Anteil betrachten.
Äußer der rein poetischen, uuzcrstückelten
Turchsührung hat Zcdlitzens Werk noch einen
zweiten Vorzug: daß es uns mit jenem ^dren
streben, eine Intention, ein Gedanke oder, i»
höchster Bezeichnung gefaßt, eine Idee zum
Grunde liege», andererseits aber soll >
dicht ein lebendiges sein nnd alles Lebendig
Wirtliche ist ein «ontretnm, der Gedanke aber
oder die Idee ist nnd bleibt ein Abstraktem ?rv
bewußt sei», der, wie Shakespeare und Lupe
de Vega selten, die alten Tragiker aber nnd
Ealderon häufig getan haben, eine Idee von
vornherein als Träger seiner .Handlung hinstellt.
Glücklicherweise aber — nni jene beiden Fa!^
toren: Leben nnd Idee miteinander zu vcr»
knüpfen — findet sich, das; bei jedem voll-
cindrncke zugesellt, iudcs die Idee für sich allein
nie nnd nimmer einen Körper, eine sinnliche Exi»
sienz gewinnt, nnd um letzteres wäre es eben zu
tu»! dcun das Gedicht soll lebe,!, es soll da sein,
eine weuu nnch nnr Schein-Wirklichkeit haben.
Große Tichler, wie Humer nnd Äriost, haben da«
her im Lause ihres Werle^ allerdings GeoanKn
in Fülle angeregt, den Abschluß aber, wie Gott
Aber, wie gesagt, beinahe ebe»so große Tichter
haben hiervon das Gegenteil getan, mit beinahe
gleichem Erfolg; nur muß man eben ein großer
Tichter fein, um diesen gefährlichen Weg mit
Glück zu betreten, Nuu kommen aber nnsere
neuere» poetischen Stümper und raffe» von
allen Seiten Niesenideen zusammen, die, wie
gehört: Nnrstellnng, Formgebung, Velcbnng, so
erbärmlich ist, daß man damit nicht eine Mans
beleben tonnte, viel weniger Elefanten, Trachcu
uud soustigc Weltuugetüme, die sie wie Ha»s-
hühuer aus Gedankencicrn ausbrüten, Es U)ird
linem dabei znmnte, als ub man Gassenbuben
in seinem Waldfräulcin großmütig verschont.
Es ist, als ob man einmal wieder eine Blume
vor sich hätte, nachdem man sich lauge uou
Medizinalkräuter» hat anstinken lassen müsse»,
gehenden Gedanken, obwohl er vielleicht — um so besser! — dein Verwirr ,V!l>ü ni>!,i
geworden ist, Ter knmiimn,,^ ^e,Vr in,!!
ohne ihn formulieren zn können oder zn n>ollc,,.
?er >!n„stsiun ist eben d,.' !^ad.', den >^danlen
?lackt uud siir sich allcin geliört die ^dce
der Wissenschaft oder der Plmulaj^'V!
beide mit der Knnst nichts zu tun haben, Tic
Herren Mr,,/,e! nnd ('>ervi,,„>'., und N'ie die blöd-
sichtigen Knnsthistoriker und «unslplnlosoplie»
alle heiße» möge», werden freilich höchst m;,^
halten sei,,, von ilnon voüoinnNicl'e,,, vaier^
ländischen, sozialistischen nnd ntiütalistlvn '>i,
zcpten hier nichts in A»we»dn»g geb>
schläger ldcr ssnnst nauilich) wenig zn kümmern.
Zcdlitz scheint hier iu seinem eigcnllichen
Fache zu sein. Er ist zwar früher im ?>>,,,,,i
glänzend anfgetreten, aber die strenggestlilossene
dramatische ^orn, dinslc seiner nieyr lebliaslen
ein Nittergedicht i,n eigenlüchen Tinne, zum
Vorluurf »ahme, wo die Freiheit des einzelne»
nicht dnrch die unverwandte Rücksicht an
sich beschränkt uud eingeengt sänle, !,^
>e,n poetisches Streben mit dem würdigsten Ab>
schlusse krönen.
Was nnn das vorlicgeude Gedicht betrifft,
so ist die zweite Hälfte entschieden besser als
die erste. Es ist, als ob der Verfasser anfangs
nicht deu rechten Ton hatte fiudcu können, als
ob das Wert znr eigenen Nnlerhultnua, bl'gomic»
worden wäre, ohne noch zn wis,e,,, o^
die Tnrstellnng freier, die Fignlen Ne,en scl!a>f>r
hernns, uud gegeu deu Echlnß zu U'ird Wald»
fräuleiu ei» wirkliches Individuu,,!, eü
steuz. Ebenso ist der Vers anfangs Iimpp, nüer.
tümelud, was man den neuere,i di'Nisnien Tich-
ter» verzeihen muß, weil sie teiuen NlMhmus
im Ohr haben uud derjenige mit Nccht eine
fremde Form nachahmt, der in sich keine eigene
sindet; aber ein so vortrefflicher V>.'rjii,!aN'nr,
als Zedlitz sich in seinen übrigen Werken gezeigt
hat, mnß auch iu der Form wahr seiu, d, h, dic-
jeuige gebrauchen, die dem Stnudpuuit der Zeit
nnd seinem eigenen entspricht.
Nie einzelnen Schönheiten des Gedichtes ans»
zuzähle» ist hier nicht die Absicht, Tcr aexe^gle
Leser mag es nnr selbst lesen, Tazn au,fordern
und lächerlichen Einwendungen des Pedantis-
mus zu begegnen, so viel uud nicht mehr hat
man gewollt,
Nie hypochondrische und nur in ihren poli-
tischen Abirrungen, mitunter cholerische dcnische
Poesie hat in diesem Gedichte einmal wietn'r
eiu sanguinisches Element gewonnen, nnd Er-
hciternng des Lebens ist ja die ursprüngliche
uud am Ende aller Ende die schönste Ausgabe
aller Poesie.
Grillparzers sämtliche Werke
Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern, Band II
- Titel
- Grillparzers sämtliche Werke
- Untertitel
- Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern
- Band
- II
- Herausgeber
- Rudolf von Gottschall
- Verlag
- Hansa-Verlag
- Ort
- Hamburg
- Datum
- 1906
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 11.2 x 15.9 cm
- Seiten
- 552
- Schlagwörter
- Dramatik, Literatur, Gedichte
- Kategorien
- Weiteres Belletristik