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Zur Ästhetik und Poetik. 32?
aucmlichieit anzudrucken vermöchte, So nennen
wir den Abbe Mezzofanti ei» anßerordenilichcs
Sprachtalent, I,i>0b ^ninini, wenn man will, ein
icnie. Es bleibt also nichts übrig, als
einen fp^ififchen Unterschied zuzugeben und das
Genie in die Eigentümlichkeit der Auffassung
nnd das Talent in die Geschicklieykeit der Auc^
iU'uug zn setzen,
Na leuchtet nun sogleich ein, daß in den
geistigen Vestrebungen, die anf Erforschung der
Wahrheit, anf Erweiterung unserer Kenntnisse
gehen, das Genie und nur das Genie es ist, in
dem alles Heil liegt. Wer eine neue Wahrheit
gefunden hat, gesetzt, er drückte sich auch su un«
belwlsen ans, als «ant oder xx-gcl, ist ein Wohl-
tat« des Menschengeschlecht«,
Anders aber dürste es in den Künste» sein,
gefunden hätte — obwohl mir im ganzen Ve-
reich der Poesie kein Dichter bekannt ist, von
sich dadurch uur iu die Reihe der Philosophen
o5.'r Natiirkuudigen gestellt, als Dichter aber
noch gar nichte geleistet, Denn die Kunst besteht
rücinihrnng d« Gedankens auf die Wirklichkeit,
iu der Darstellung mit einem Worte, Wenn
plulosophischen von der poetifchen Idee helfen
nwINe, fu wäre dabei wenig gewonnen, denn die
poetische Idee ist schon eine Einkleidung, eine
sol'liifchcn, uud somit sie selbst schon eine Tar-
stellung, Was bei den Philosophen gegenüber
der Auffindung des Gcdaukcns Ncbeufache ist:
bei dem >lünstler die .Hauptsache! die Kunst ist
eben nichts, als der Komplex der Mittel, seine
,,,, muchen. Wer die höchsten Gedanken hat, aber
s,V nicht darzustellen vermag, kann ein anßer-
urdeutlicher Mensch sein, ein Künstler aber ist
la man nnn aber andererseits doch Gedanken
haben muß, wenn man ihrer darstellen will, so
ist allerdings Genie, verbunden mit dem
Talente, Eigentümlichkeit der Auffassung, Hand
-in Hand mit der Gabe der Lcbendigmachnng,
d.ic> ,vi,'chsie, wa^ die >lnnstwelt auszuweisen hat,
Hunderten nicht eiuinnl vor, Nns eigentliche unug genial nnr auf eiueu Teil jcucs wcltbe-
glückenden Ganzen gerichtet sein, und da die
mit Entschiedenheit, als eine Art Unglimpf, zu-
rückweisen, so I)leil,'t für sie vom Genie, mit
des Gedankens übrig, 2a kommt nnn zu be-
merken, daß in einer Zeit, wo die Ideen fixiert
eine gewifse Stärke des Geistes uoranssetzt. Sind
die Ideen aber einmal im Flnß, hat'sich die
Zeit Uon Ehrfurcht und Ordnung emanzipiert,
trouvsr enzemblk, herauszugreifen uud gewalt-
tätig zn verbinden, Weun man es nur mit der
Züchtigkeit nicht genau nimmt, so hat dann die
und ciu Narr im Narrenhause hat mehr origi-
nelle Einfälle, als alle Dichter seit Erschaffung
Aber auch die Originalität im besten Sinne
zugegeben, so ist doch in der Kunstwclt derjenige,
der eigentümliche Gedanken hat und sie nicht
d, h, ein solcher, der das nicht machen kann,
was er machen möchte.
Ich bin hier bei dem Puukte angekommen,
auf den ich uon vornherein mein Augenmerk
der neueren Knust, Wenn ich sage: ohne Talent,
so meine ich nicht, als ob diese Gabe der neueren
Zeit ganz fehlte. Aber je größer der Gedanke,
welches für einen mäßigen Stoff ausgereicht
hätte, wird lächerlich, wenn es sich mit einem
großen befaßt, uud so habcu wir deun lauter
Kunstprodukte, Wenn hierin in Deutschland die
bildende Kunst eine Ausnahme macht, so beruht
iu ihrer unerforschten Machtvollkommenheit sich
entschlossen hat, nach langer Sparsamkeit einige
den andern die Richtung geben, Poesie und
Musik aber siud gleichmäßig in jenem Grund-
übel befangen.
Dilettantismus.
Das Grundübcl unserer neuesten deuIschen
Literatur und >!>iiist schaut mir in dem Vor-
herrschen eines gewissen Di let tant ismus zu
Ter Dilettant ist ein gesteigerter Liebhaber,
Einsicht in das Wesen einer Kunst, ja selbst
eigene Ideen von größerem oder geringerem poetischen Gehalte haben, und fehlt ihm bei
allem Streben doch das Vermögen einer ge-
nügenden Darstellung, Solche Leute kommen
Ansfassungsgabe mit Selbsterkenntnis nnd Be»
scheidenheit gepaart ist, höchst liebenswürdig nnd
interessant. Was sie hervorbringen, entzückt
ihre Freunde, weil diese imstande und in der
Grillparzers sämtliche Werke
Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern, Band II
- Titel
- Grillparzers sämtliche Werke
- Untertitel
- Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern
- Band
- II
- Herausgeber
- Rudolf von Gottschall
- Verlag
- Hansa-Verlag
- Ort
- Hamburg
- Datum
- 1906
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 11.2 x 15.9 cm
- Seiten
- 552
- Schlagwörter
- Dramatik, Literatur, Gedichte
- Kategorien
- Weiteres Belletristik