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L. Zur Ästhetik und Poetik. 333
lehrt, Die Neueren halten das erstere für das
allein Zulässige lvorüber ich aber ganz der ent-
gegcngcsetzteu Meinung bin, Tic Erhebung des
Geistes, die aus dem Siege dcr Freiheit ent-
springen soll, hat durchaus nichts mit dem
nebstdem das Trauerspiel scharf ab, ohne jenes
Weitcrc Wortspielen im Gemüte des Zuschaner^
der wahren Tragödie ausniacht, Nas Tragische,
daß der Mensch das Nichtige des Irdischen cr
leimt, die Gefahre» sieht, welchen dcr Neste aus-
selbst, fest das Rechte uud Wahre hütend, den
stnnichclnocn Mitmcnschcu bcdaurc, den Fallen-
strast, >ueil jede Störung vernichtet lverdcn muß
des ewigen Nechts, Menschenliebe, Vuldsanitcit,
sch asten durch Mit le id und Furcht wird
rinc solche Tragödie bewirke,,, Nas Stück wild
nach dem Fallen des Vorhanges fortfpielc» ini
des NccIU>, dic ^äitcgcl >u derber Anschaulichkeit
nuf den Brettern uud in den Vinnpcn dcr Bühne
die still zittcrndcn >lrcisc des aufgeregten Gc<
niiit^.
Es ist ein Schicksal, das den Gerechte» hic-
da>> „nnvcrgoltcnc" Hvnndcn fchlägt, hier im
vergolten, ^as;t euch von der Gcfchichte be-
lehren, daß es eiue moralische ^^cltordnnng
gibt, die un <.^ ,cicl,lcchte ausgleicht, luaö stört
in den Individucu; laßt euch von der Philo-
sophie und Religion sagen, daß es ein Jen-
seits gibt, wo auch das Nechttun des Iudi-
vidnnmo seine vollendn,lg und Perhcrrlilchung
sindet. Mit diesen Vorlcnntniffcn uud Gefühlen
stehen, was wir wollen, Tic wal,re Nar«
sic t l u n g I,at leinen didaktischen Zweck,
s>>u illi> ndu'0 !'w^l,c, und wer ciu Künstler ist,
wnd ilnn deiiallen, Tas Tbeater ist lein Kor-
reliil'iic-lian^ für Spitzbuben uud teiue Trivial-
schule flil' Il!inn,,!diiie, Hve,,n Il,r mil deu ewige»
Begriffen des Rechts und der Tugend vor unsere
" imiic tretet, so wird euch das zerschmetternde
Eilmtsal ebenso erheben, wie es die Griechen
erhub i denn dcr Mensch bleibt Mensch „im
Filzhnt und im Iamerlonk," und was einmal
wahr gewesen, mns; eo ewig sein nnd bleiben
Nber Zatum und Tchicksal.
Vö ist in der »e»cste» Zeit so viel über das
Schicksal und seine Änwenddarleit oder llnan-
lveiidl'iirteit fiir die neuere Tragödie gcfagt und
geschrieben word<n, daß ich, da besondero in
Trauerspiel! die Ahnfrcn, den Streit neu ent-
zündet hat, es fiir meine Schuldigkeit achlc, dem Publikum meine Anfichtcn von diefcr vielbc»
'prochenen Sache vorzulegen.
Um nicht weitläufig zu sei», gleich zur Sache:
Vor allem: was verstanden die Alten (die
Griechen nämlich) uutcr dcin Worte Fatum,
brauch in ihrer Tragödie? Ta stoße» wir »un
gleich auf verschicdcue Meiinmgcn, Tcr eine
Naturnotwendigkeit, ein zweiter die strafende
Wcltgercchtigkcit, ein dritter eine feindselig cin-
uenn ivir die Werke der alten Dichter und ins-
besondere der Tragiker in dieser Beziehung
!,>>iln wiederfinden. Bald erscheint es als
auogleichcude, selbst die Götter fesselnde Gc«
rcchtigkcit, wie im Prometheus, bald als unbc-
Fabel vom Untergänge des Labdakosstammes,
ld als räche»de Ncmefis über den Tantaliden,
andermal (wie bei dem Geschlechte des Tan»
talos) zusammenfallend mit dem Willen der
Olhmpier, Ja, im Lnripides treten meisten«
teils die Götter selbst an die Stelle des Schick-
sals, Alles dieses muß uus auf den Gedanken
bringen, daß wohl dic Gricchcn selbst mit dem
Worte Fnluni leinen bestimmten, genau be-
ging, wie uns mit den Worten i Zufall, Glück
uud anderen, die wir gebrauchen, um gewiss.'
Erscheinungen zu bezcichucn, die da sind, ohne
mann versteht, wenn sie auch niemand begreift.
Und so ist es auch. Nie Griechen nannte» Lchict-
deren Ursache uuserem Verstaube verborge»
bleibt, ob wir gleich ihre Wirkung gewahr
bureneu Strcbens, dem Begründeten eiuen
latcl'and untcr den Erscheinungen dcr moraU-
schen Welt herzustellen,
Tieses Strebeu des menschlichen Geistes liegt
in seiner Natur und besteht gegenwärtig noch
scheinen, als ob das Christentum hicriu dic
Lage der Tinge ganz geändert hätte, es scheint
die Gründe alles Seins hält, und von dein alle
nm den grübelnden Verstand, die schwelgende
Pbantasie zu bezähmen? Nie Erfalirung von
18UU Jahren hat das Gegenteil gezeigt. Wir
kennen Gott als den letzten Ring in der Kette
der Tiugc, aber die Mittelglieder sehlen, nnd
Grillparzers sämtliche Werke
Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern, Band II
- Titel
- Grillparzers sämtliche Werke
- Untertitel
- Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern
- Band
- II
- Herausgeber
- Rudolf von Gottschall
- Verlag
- Hansa-Verlag
- Ort
- Hamburg
- Datum
- 1906
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 11.2 x 15.9 cm
- Seiten
- 552
- Schlagwörter
- Dramatik, Literatur, Gedichte
- Kategorien
- Weiteres Belletristik