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1), Zu>' i^ und Poetik.
Aphorismen.
Von» nian das Wort Ästhetik ausspricht, so
lann man damit zweierlei meinen: Ästhetik als
eine» Teil der Philosophie, und Äslhetit als eine
,^ i,,>st>ehre. In ersterem Sinne soll der Mensch
über alles denken, nicht aufhören, zu versuche»,
auf die Gefahr, das letzte feines Strebens nie zu
erreichen, Tenit er doch über den Zusammen-
hang der Welt nach, obwohl taufend an eins
zu scheu ist, daß er diesen Insammciihang nie
^ wird, Tn zeigt sich eben gleich ein
grusirr Unterschied: die wirkliche Welt besteht,
gleu'lwicl, ob wir sie begreifen oder nicht; die
Welt des xunstschüncn soll aber erst hervorge-
bracht werden, mid da dürfte eine falsche Ä»f°
safsniig leicht von den nachteiligste!! Folgen
sein. Glücklicherweise ist die Natur der Be-
schränktheit des menschlichen Geistes schon von
vornherein zu Hilfe gekommen. Man lv,»»
richtig denken ohne Logik, rechtschaffen handeln
vorbringe» ohne Ästhetik, Außer alle,» Zweifel
Wissenschaft geschärft, erhöht, ja berichtigt, aber
die Wichtigkeit jener Theorien liegt weniger in
dem Nutzen der wahren als in der absoluten
Schädlichkeit der falfchcn. Es ist schon oft ge-
sagt n»d wiederholt worden, daß die vorzüg-
lichsten Dichtwerte entstanden sind, ehe man von
gegcngesctztc Erscheinung, daß in neuerer Zeit,
praktische Poesie immer leerer und matter wird,
scheint eins wie das andere nicht sehr zugunsten
einer solche» Wissenschaft zu sprechen
Zweifel würde eine richtige Ästhetik ei» großer
spezifische Begabung oder das Talent nie ent-
behrlich mache», u»s aber doch vor dem gn»z
Verkehrten oder Absurden bewahren, das in
gerechnet die demütigende Erscheinung des
Wohnsitz vor Allem in uuscrcm'Teutschlaud aus«
geschlagen hat.
Wozu also eine Ästhetik, wenn sie weder
noch, wie es mit Geschmack zu genieße» ist?
^a-,», weil es die Sache eines vernünftigen
Menschen ist, sich von allen seinen Handlungen
Wenn die Ästhetik nnch keine Rechenkunst des
Schönen ist, so ist sie doch die Probe der Nech-
Ich hätte fast Lust, jeue Einteilung der Ästl,e-
habene als ein eigenes Lsnus dem Schönen an
die Seite gesetzt wird, Vas Erhabene ist nichts Lieblichen entgegengesetzt, beide als letzte Gre»',-
blinkte des Schöne», über die hinaibs das Reich
Kleinlichen und Giganteske», Tas ^'i»hl des
Erhabenen über sich selbst, das den Menschen
als charakteristisches Zeichen desselben a»gegeben
uird, muß die Betrachtung jedes Schonen be-
gleiten und ist eben das Merkzeichen, an dem
ausscheidet.
Schön ist, was durch die Vollkommenheit in
seiner Art die Idee der Vollkommenheit ini all»
Schön ist dasjenige, das, indem es das Ti»n-
iche vollkommen befriedigt, zugleich die ^>'Ie
erhebt. Was dem Sinnliche!! allein genug tnt,
ist aiigenehm. Was die Seele erhebt, ohne durch
das vollkommene Sinnliche dahin zu gelang.'»,
ist gut, wahr, recht, was uia» will, aber nicht
schö»,
Ma» sagt: der Zweck des Schöne» ist Ver-
gnügen! Erstens: was heißt denn das: Iwock
des Schönen? Ner Zweck des Walnv» ist das
Wahre uud der Zweck des Schönen das Schöne,
lungen des Schönen achten will, wer wird da
bloß das Vergnügen nennen, das auch das An-
genehme hervorbringt und das Schöne nur in-
immer der Fall ist. Rechnet man für nichts
die Erhebung des Geistes, die Erhölning des
ganzen Tascins, das Tätigwerden von Gefühlen,
die oft im ganzen wirklichen Leben eines Mcn-
scheu nicht in Anregung komme»? Ten Über-
blick über das Ganze des Lebens, die Einsicht
in die eigene Brust, in das Getriebe eigener nnd
srcmdcr Leidenschaften? Nas Wachcrhalten des
hällnijse der Bürgerwclt so leicht einschläfern?
Ist das alles nichts, daß man nötig hat, durch
das Unterschieben des bloßen Vergnügens als
Zweck der Kunst den Künstler mit dem Taschen-
spieler i» eine Klasse zu setzen?
Allerdings ist es falsch, daß die Form das
höchste in der Knnst sei, aber das höchste ist
in der Kunst nnr insofern etwas, als es in der
Form erscheinti d, h, insofern es der Künstler
Vorgestellte auch adäquat dargestellt hat.
Grillparzers sämtliche Werke
Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern, Band II
- Titel
- Grillparzers sämtliche Werke
- Untertitel
- Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern
- Band
- II
- Herausgeber
- Rudolf von Gottschall
- Verlag
- Hansa-Verlag
- Ort
- Hamburg
- Datum
- 1906
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 11.2 x 15.9 cm
- Seiten
- 552
- Schlagwörter
- Dramatik, Literatur, Gedichte
- Kategorien
- Weiteres Belletristik