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L. Zur Ästhetik und Poetik, 33?
Tcr Nlinde und der Tehcnde.
Ncr Sehende: Welch herrlicher Garten!
Der Bl inde: Ja, ja, es geht nock) an! Wir
haben uns heiß gegangen; die Lnst weht er-
quickend, — Uph — Meine Nase feticrt sich init
Tcr Sehende: O! daß Sie doch ganz ge-
nießen lönnten! Arincr Mann!
Ner Blinde: Ganz? Ich tue es, — Niese
Blätter, wie samtweich! Tiefe Birne — Oh! —
wie schmackhaft, wie saftig! Nie Birnen find
denn doch eines Gartens hauptzicrde. Man
weiß doch, was man hat.
Der Sehende: Und diese Blume»! Welche
Farben!
Ner Blinde: Farben? Was will das sagen?
Ner Sehende <l«l l>ch)- Armer Unglücklicher!
Der Blinde: Farben, Ich habe öfters
lchon von Farbe» reden hören. Mir scheint
das ganze Wort Unfinn,
Ncr Sehende (ablcnwid)- Horchen Sie,
Der Bl inde: Nicht doch! Bei der Farbe
geblieben! Merken Sie das Wortspiel? Von der
Farbe zu reden. Definieren Sie mir die Farbe,
Der Sehende: So was definiert sich auch!
2ie ^arbe selbst vielleicht zur Not, aber auch
ihr Nciz?
Der Vlindc: Nicht wahr? Was ist Farbe?
Antwort! He, he, he, Antwort! Hört man die
Farbe? Niecht man sie? Schmeckt man fie? —
Antwort!
Ter Sehende: Unglücklicher, man sieht fie.
liegt darin, daß letztere in der Regel keiner Ab-
strakt,on fähig sind und »ur das bewundern
billigeu.
Das Unerwartete darf allerdings und soll in
es Wirten wie ei» Notwendiges und durch sich
selbst Gerechtfertigtes,
Unfer Entzücken über ein Kunstwerk ist offen-
bar ans diefcn drei Empfindungen znsammcn-
gescht: Das ist nicht bloß möglich; das ist!
Punkt vereinigt, so eins mit meinem Wesen habe
ich es selbst in der Natnr nicht gefehcn! — Und
das hat ein Mensch geinacht! —
zum Schaffen in der Kunst als notwendig be-
zeichnet wird? Es ist nicht jene Steigerung der
Gemüts- und Geisteskräfte, die, von ähnlichen
physischen Zuständen begleitet n»d unterstützt,
gewöhnlich mit einem solchen Namen bezeichnet
Wird, Tiefe Begeisterung ist bloß tcilF die äußere Erscheinung, teils die Folge einer voraus-
gegangenen anderen Ursache, Sonst würden ja
standcs, einer Art geistig-körperlichen Trunken-
heit heiße» müssen, Tic eigentliche Begeiste-
rung ist die Kunzentratio» aller Kräfte nnd
Augenblick die ganze übrige Welt nicht sowohl
verschlingen, als repräsentieren mnß. Nie
Steigerung des Seelenznstandes entsteht da>
ei,,,-,c!nen Gegenstandes gebracht, sich berühren,
wechselseitig unterstützen, heben, ergänzen, Tnrch
herausgehoben — statt nnr an der Oberfläche,
von allen Seiten umleuchtet, durchdrungen —
gewinnt Körper, bewegt sich, lebt. Dazu gehört
aber die Konzentration aller Kräfte, Nnr wci^i
das Kunstwert für den Künstler eine Welt war.
wird es auch eine Welt für den Bcschaner, In
neuerer Zeit aber breite» sich die Richtungen
zu sehr aus, Ner Naum des Kunstwerkes scheint
dcni ȟnstler zu eng, er will daneben und da>
zwischen noch dies und das, und wie ihm das
Gefühl der Notwendigkeit des Geschaffenen fehlt,
stellt es fich auch bei dem Beschauer uicht ein.
Nie neueste Zeit unterscheidet sich von ihrer
Vorgängerin nnch darin, daß sie in allen Tinge»
eben anch nur Nachahmungen oder Umkehrungen
oder Verwechselungen längst dagewesener, allge<
dadurch entstanden, daß die improvisierte» Gene-
rale der französischen Revolution instinltmäßig
die Kriegführung der wilden Horden nachahmten
endlich der letzte Vervollkommner der tanniba»
lischen Methode in eigener Waghalsigteit ein
fand. Und so wird das System in künftigen
Mann von. Geist etwa die onundn,!^' i^iedr»ch>L
des Großen als eine neue Neuheit l!ervorsucht
feldeu Waffen besiegt, die sie siegreich ver»
spottete.
Was von den garstigen Künsten gilt, gilt
auch von den schone», Sie habe» sich i»
neuester Zeit sämtlich erweitert, weil sie teils
in i!,re wechselseitigen Gebiete, teils in die
Prosa hinübergriffen, »nd halte» fich min für
reicher, weil fie mehr Geld in der Kassa haben.
Ich will hier vorzugsweise von der Musil
sprechen; einmal weil ich sie liebe nnd immer
einzige Kunst ist, in der wir, Teutsche einen
Grillparzers sämtliche Werke
Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern, Band II
- Titel
- Grillparzers sämtliche Werke
- Untertitel
- Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern
- Band
- II
- Herausgeber
- Rudolf von Gottschall
- Verlag
- Hansa-Verlag
- Ort
- Hamburg
- Datum
- 1906
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 11.2 x 15.9 cm
- Seiten
- 552
- Schlagwörter
- Dramatik, Literatur, Gedichte
- Kategorien
- Weiteres Belletristik