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Zur Ästhetik und Poelik. 341
liege, der Prosa abcr die gesellschaftliche, Tic
Poesie würdigt Personen und Zustände nach
ihrer Übereinstimmung mit sich selbst, oder der
ihrem Zusammenhang mit dem Ganzen, Sie
sind daher wesentlich voneinander getrennt, zwei
abgesonderte Welten; und wer poetische Ideen
in die wirkliche Welt einführt, steht in Gefahr,
mit prosaischen die Poesie zu vcrfälfchcn.
Tcs Menschen unabweisliches Streben ist,
sich mit der Welt in Übereinstimmung zn letzen.
Wo das nun nicht gehen will, sucht die Philo-
sophie am Menschen zu bessern, die Poesie kehrt
Tic Prosa der neueren Zeit besteht besonders
darin, daß sie das Symbolische der poetischen
Wahrheit nicht anerkennen wi l l und nichts zu-
läßt, was uicht eine Realität ist.
Wcun man von einem goldenen Zeitalter der
Literatur spricht, so nieint man gewöhnlich den
Poesie eines Landes erreicht haben. Und mit
Recht. Einesteils ist die Poesie der Nnsdrnct
menschlichen Vildnng einer Nation; ihr Ein-
sluß ist der durchgreifendste und weitgieifendsiv,
und so lange es leine Wissenschaften im streng»
der Spitze der geistigen Bestrebungen stehen,
da sie das ist, oder wcuigsteus sein kann, was
sie sein soll, ein Ziel, das den Wissenschaften
versagt ist. Nenn die letzteren einmal demon-
strativ werden sollten, wenn sie je die erstletzten
zeug herabsinlen, für jetzt abcr hat sie den Vor-
zug, wie die Natur sagen zu können: Nas ist,
hat, ist von einem Erweis oder Zweifel weiter
nicht die Rede.
Man hat lange darüber gestritten, ob die
Nachahmung der Natur der Zweck der Kuust
uicht der Zweck, doch gelviß das Mittel der Kunsl-
ohne darum ein Anhänger der prosaischen Kunst-
schule zu seiu, daß der Künstler, der sich daranf
Betrachtung des Originals der Nachahmung in
stehen, indes der Künstler, der von Ideen und
Empfindungen ausgeht, nichts weniger als sicher
ist, jene Gestaltung zu finden, die seine Inten-
tion aus dem Reich der Möglichkeit zur An- schaunng und Wirklichkeit bringt, Nie eigent«
Abklatschen des Wirklichen nichts zn tun hat, bc-
lich Vorkommenden entfernt, dasselbe Gefühl
der Natur Nas oben erwähnte: Es ist, hat
das echte Kunstwerk mit der Natnr gemein. Es
schließt ab, weil die Gestalt in ihren Grenzen
bewegte Gedanke froh ist, endlich auch einmal
znr Ruhe zu kommen.
Tas, was aller Poesie zugrunde liegt, wo»
mit sie ansängt, ist etwas, das dem geistige»
Wissen gar nicht znr Ehre gereicht, Sie sängt
Worin liegt es denn nun, daß das poetische Bild,
der Tropus, das Gleichnis, einen Eindruck macht,
eben die Metaphysik die Haare ausraufen sollte
— daß ein wirklich existierendes Staubkörnchcu
mehr Überzeugung mit sich führt, als all die
erhabenen Ideen, die unserer geistigen Nildung
zugrunde liegen sollen, oder wirklich liegen.
Ihr habt die Poesie zu etwas Menschlichem
gemacht, sie ist aber ein Göttliches; sie ist nicht
Gegenteil der Prosa.
Tie Prosa ist des Menschen Speise, die Poesie
sein Tränt, der nicht nährt, sonder» erquickt,
gebracht sind, wovon man fett wird nnd noch
dazu eine^l schweren Tusel iu den Kauf bc<
schieden wie Essen uud Trinken. Man mnß vom
Wein nicht fordern, daß er auch den Hunger
haft Brot in seinen Wein brockt, mag das
Tchweinefuttcr selbst ausfrcsscn.
Es besteht die Poesie aus zwei Teile»: Poesie
der Auffassnng »ud Poesie der Darstellung;
Poesie,
Nas ist das prosaische Element der neuesten
deutsche» Poesie: sie bespricht die Gegenstände,
statt sie darzustellen.
Was die Poesie ausmacht, ist denn doch die
Gedanken und der Rhythmus der Sprache.
Grillparzers sämtliche Werke
Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern, Band II
- Titel
- Grillparzers sämtliche Werke
- Untertitel
- Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern
- Band
- II
- Herausgeber
- Rudolf von Gottschall
- Verlag
- Hansa-Verlag
- Ort
- Hamburg
- Datum
- 1906
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 11.2 x 15.9 cm
- Seiten
- 552
- Schlagwörter
- Dramatik, Literatur, Gedichte
- Kategorien
- Weiteres Belletristik