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V, Studien,
mir dieser Mittel bediene», als die niederen
höchüe Gattung der Poesie ist die, welche die
willkürlichen Zeichen gänzlich zu natürlichen
Zeichen macht, Nas ist aber die dla,,ialij»I>,',
wilüinlicher Tinge, Naß die dramatische Poesie
die höchste, ja die einzige Poesie ist, hat schon
Aristoteles gesagt, und er gibt der Epopöe nur
insofern die zweite Stelle, als sie größtenteils
im ersten wie das von Mittel zum Zweck ist,
so stellt es sich im zweiten mchr als Verhältnis
oeo Teils zum Ganzen dar,
Die Ursache, warum das Gräßliche nicht auf
der Bühne erscheinen darf, ist, weil es durch
seine, ich möchte sagen: phlisischc, Wirkung aus
d,e Nerven sich als eiu Wirtliches darstellt,
Selbst das Tragische müßte von der Bühne ver-
bannt bleiben, wenn nicht das Bewußtsein, d>is',
Offenbar liegt ein Teil des Gruudcs vou
den: Wohlgefallen an dem Tragischen in der
Poesie auch darin, daß der unbestimmte, forin
lose Schmerz über die Übel des Lebens durch
die bildende Kunst Gestalt bekommt und nnn
nicht mehr als eiu Unbegrenztes in dumpfer
Marter, souderu als ein zn Überschauendes bei
vollem Bewußtsein wirkt, — Nas bliebe, meine
ich, selbst danu noch übrig, wenn man beim
Sprechen über Poesie von der Poesie selbst
absähe,
statuieren, daß der Wert desselben in der völlig
treuen Wiedergabe der Geschichte bestehe, ist
ebenso lächerlich, alv> wen» man einst die Äiij
gäbe der Kunst im allgemeinen in der getreuen
Nachahmung der Natur suchte und zu finden
glaubte, Nie Natur in Handlung ^Geschichte)
ist Natur wie die leblose, und beide Bestreben
sind eins so absurd und prosaisch als das andere,
Die Aufgabe der dramatifcheu und eftifcheu
sächlich dariu, daß sie die Planmäßigkeit und
Ganzheit, welche die Geschichte nur iu großen
Partien und Zeiträumen erblicken laßt, auch
in dem Naum der tlciucn gewählten Vcgebcuhcit
anschaulich macht,
Nie Handlung unterscheidet sich dadurch von
der Begebenheit, daß bei letzterer hauptsächlich
l',nf die Folgen einer gegebenen Lage ^veri ge
legt wird, bei der Handlung aber auf ihre llr« sachen, wo danu freilich wieder du- ^ige seldst
iu die Neihe der Ursachen tritt und mit einer
letzten Folge endlich abschließt.
Mn» hat öfter ül>er die Bedentnng des
^orteo Handlung i,i poetischer Bezuchung ge
sprochcn, uud wvdnrch sie sich vom d'rei>ini,'
unterscheide, d'den dari,,, joodnrcl! sie sich
historisch oder eüm'ch i,!,le>f>1,eiden, Handlung
ist ein Creignio, dem Absicht zugrunde liegt,
jekte der Tätigkeit liegen, oder ihrer Täliglett
von aiisien e,,!>,>,,e,,geseN! iverden, ,ind zwar
oder von Umständen, die die Form von Ävsicht
», Letzteres nennen wir Schicksal,
Das ist der iuuere Znsammenhang des
Tramas, daß jede Szene ein Bedürfnis erregen
und jede eim'c' befriedigen innß.
Tas Publikum fordert uuuachfichtlich eiiieö,
wodurch es eben zn einer fo vortrefflichen Kon»
trolle für den dramatifchcn Tichter loird, und
dieses Eine ist Lebeu,
so antworte ich: warum uicht, vorausgesetzt,
d.iß sich der Verfasser eiuer großcu lebendigen
>>raft beionsit ist, wie Caldero» allenfalls. Nie
übrigen großen Nichtcr haben es aber nnr feile,i
zu Werke gegauge,! mit ihrer großen Meisterin,
der Natur i Ideen anregend, aber von leben-
digen Fakten ausgehend. Im Anfange war die
Tat,
?ie «onfeanenz der Leidenschaften ist das
Höchste, was gewöhnliche Dramatiker z» schildern
uud gewöhnliche Kunstrichter zu würdigen
wiffen, aber erst die aus der Natur gegriffenen
Inkonsequenzen bringen Leben in da^ Pild
uud sind das Höchste der dramatischen Kuust;
uur faßt diese niemand auf, als etwa »och das
unbewußte Gefühl der Menge, und der Kritiker
höchstens au abgeschiedenen Klassikern auf Auto»
rität,
Ls ist eiue große Frage: ob das zu scharfe
Indiuidualisiereu der Charaktere, wie wir es bei
Shakespeare fiude», dem dramatische!! Efseit
uicht schädlich ist, Ner Meusch verschwindet in
eben dem Verhältnisse, in welchem das Indivi»
duum hervortritt,
Die Kunst des Schauspielers hat drei Stnfen:
eine Nolle verstehen, eine Rolle fühlcu, und
das Wesen ciuer Nolle anschauen.
Grillparzers sämtliche Werke
Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern, Band II
- Titel
- Grillparzers sämtliche Werke
- Untertitel
- Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern
- Band
- II
- Herausgeber
- Rudolf von Gottschall
- Verlag
- Hansa-Verlag
- Ort
- Hamburg
- Datum
- 1906
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 11.2 x 15.9 cm
- Seiten
- 552
- Schlagwörter
- Dramatik, Literatur, Gedichte
- Kategorien
- Weiteres Belletristik