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Nir sehen dies, um der Deutschen zu gcfclnl'ciacn,
bei den Skandinaviern, die bei ihrem ersten ^luf»
lieteu i» der Geschichte ihre deiitjclien ^cnder
nn ,tzcldcnfinn und eigentlicher Nittcrlichieit iveit
schritte der Zivilisation »ur zu bald ein Ende
gemacht haben,
Tie Geschichte des darauffolgenden Mittel
llltcrs ist eine Geschichte der furtschreiienden
Knechtschaft und die deutsch.- >>!enl,ofreiheii hat
:v.:t der menschlichen Freiheit »icl,l^ g.inc,!,.
Überhaupt möchte ich die Anpreise deo '^iitte!
alters sragen: ivolche der uerfchiedenen (ipocln'i,
wert oder auch nur erträglich, mil !^>ic>>icln
auf Freiheit oder sonst? Wo aber alle Teile
schlecht sind, da ist das Ganze nicht gut.
Es bliebe uns daher nichts übrig, als in
der Geschichte fremder Nationen Belehrung zu
suche», und da boten sich denn nlm siammmc
wandt zuerst die Engläiidcr dar. Aber uicht alle
Vrnder sind sich ähnlich, Nie Grundlage de>^
die Beharrlichkeit, Nun fällt mir nicht ein, den
Teutschen, sowie den meisten anderen Nationen,
Tüchtigkeit abzusprechen! aber wie steltt eo mil
der Beharrlichkeit? Einerseits scheint sreiüch
dieser Iweiscl wunderlich, da mm, den !vnt
schen ei» Beharren an dem Gewohnten seit drei-
hundert Jahren zum Vorwnrfc macht! anderer»
jeits aber dürfte es mit dieser Bcln'.l'rliüiteit
gesehen haben, sie dürste ein Ergebnis der Nn,
lultnr sein und mit den Fortschritten der >tnl!nr
sich verlieren. In der Tat auch, je tiefer wir
auf der Stufenleiter der Bildung hinabsteigen,
iün sc» beharrlicher finde» wir noch heutzutage
deu Teutschen, je hoher wir aber dicfclbe Leiter
hinaufsteige», um so veränderlicher. Betrachten
wir zum Beispiel die Phasen der Literatur in
den letzten fünfzig Jahren,» Man weife dieses
Beispiel nicht als znr Tnchc ungehörig zurück.
Te»n einerseits wollen wir ja gerade die ge-
bildeten Etändc abschätzen, andererseits geht
die Billigung und Mißbilligung in der Literalnr
uon der Urteilskrast alis, und von der Festig-
keit des Urteils hängen zugleich alle praltischen
Tingc ab.
Einer der schielende» Ausdrücke unserer ^cit
ist, >vc»ii ma» vo» der flacht der Geschichte
spricht. Ich weis; nicht, warum man nicht lieber
sagt: die Macht der Begebenheiten, welche aller«
dings die grüßte ist, die es gibt, Tic Geschichte
ist nur uuser Nissen von den Begebenheiten, unk
letztere haben gewirkt, ehe es noch eine Geschichte
gab, und wirken noch jetzt, wenn auch niemand
uon ihnen weiß. Es gibt eine Macht der Ge»
schichte, nämlich die alles Wissens mid Er-
lenncns, welche aber auf die Begebenheiten oder
den Weltlau^ eine nnr sekundäre Wirtuug aus-
übt. Teilet Worte werden Uon den Pedanten
in Gang gebracht, um ihrem armselige» Wisfeu Ph
lasten, die jul, i,n ^>'j,n einer nalncliclu,,
glänzen, weil die '.'ünnr allerdings für iinc- ciü.'
Magie ist,
?,,' ^oideiungen an die O'csitnclite fiiid, na,!.
Verschiede,,heit dec- 3!andpnn!l^> der Lefcr, vei -
fchieden, ?>iv >icn','>,n>ic!,e Pnl'lili!,», nien» es
iinl'eliünniert nm die 3!ic!,!igl,il, luenn fie »nr
>,ilci^sii,,t sind, iveil eo Anregung nnd llnlev^
Haltung sncht, wie sie allenfaUo von cinni
Neman zu verlangen si»d, Tie sogenanntt'n >">'
bildete» ».'ollen Neflexio»eii, Nesiillate, >'>e.
dailte,,, weil sie sich »icht die Mi>>,e geoen wcUen
oder unfähig sind, !>'>0.!n>,ü ',n !,a>'^n, ?cr
öelbstdenler verlangt Nur allem Richligieit der
7^i!!e,,, uell'nndcn mit gena,ier, lebendiger
2chi!der»ng dee ^',eit, >oeilHi,e an> den, Leben
oerfelbc», aus »Inen killen, Gewuhuheile», lld>> -
?,eiig!ingen, Voriilteile», Bcstrebnii>,> >, d>,' i,',,!,,^
>^e>tnng dcr fallen >n rvorge!,!
slerionen n,a>Iien i!>,n die Genauigleit de-> Vec
sasscrs verdächtig, lind Mcingcl an Lebe,,dig!c,t
versälscht den Ttandunutt, alis dem sie be<
urteilt werde» solle».
Ich zweifle nicht, daß i» dc» menscM,,!,, n
Ti»gc», als» a»ch i» der G>'i>>,ic>tte, ebeiisogiit
eiiie Notiveiidigteit ist, als i,, den Naturdinge»,
Ader jeder Mensch hat zn^ich seine separat«
notweiidigteit, so daß Millionen Nichtunge»
parallel, in lrilnime» und gerade» Linien »eben-
einander laufe», sich durchtreibe», sörder»,
diilch süreinaudcr den Eharakter des Zufalls
annelnncn und es so, abgerechnet derEiuwirlnng
d>l N>i!nre>ei,',ni!ie, nninöglich machen, ein.'
durchgreifende, alle unifaffende Noüoendiglcn
Gesetze hat als der Umlauf der Welten, aber
durch die Mannigfaltigkeit der (imwirtuuge»
es unmöglich gemacht hat, nnch mir für eine
kurze Periode etwas Bestimmtem vol,ni<zusage»,
oder das wirtlich Eingetrvffcnc folgerichtig zu
erklären,
eigener Mutmcißungeil über den Ursprung des
Universums: Hinge, welche vielleicht i» einee
allgemeine» Naturgeschichte Platz verdiente»,
aber im Ansauge einer Weltgeschichte «Me'iiscl'e,',-
gcschichte »lochte ich sie lieber uemicn) eine selt-
und man nimmt und gibt sie wie Papiergeld,
Uon dessen Unweit jedermann überzeugt ist, das
aber doch in Handel und Wandel gilt — aus
Mangel an besserer Münze, Es ist in der Tat
lächerlich genug, unsere größten «öpse die
Grillparzers sämtliche Werke
Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern, Band II
- Titel
- Grillparzers sämtliche Werke
- Untertitel
- Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern
- Band
- II
- Herausgeber
- Rudolf von Gottschall
- Verlag
- Hansa-Verlag
- Ort
- Hamburg
- Datum
- 1906
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 11.2 x 15.9 cm
- Seiten
- 552
- Schlagwörter
- Dramatik, Literatur, Gedichte
- Kategorien
- Weiteres Belletristik