Seite - 381 - in Grillparzers sämtliche Werke - Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern, Band II
Bild der Seite - 381 -
Text der Seite - 381 -
VI. Biographisch»-'. 381
im Zweifel. Er ging daher in unser Zimmer,
das er sonst nie betrat, um sich in meinem
Wörtcrlmchc Rats zu erholen. Er findet aber
wedl-r Wdrlcldlich noch Schulbücher. Ein großes
V«I,m wird vorgenommen, infolgedessen der
schuldige Hofmeister das Haus verlassen muß,
aufgenommen wird.
TK' Hauptschwu'via,tnt war aber nun, daß,
nach verstrichenem Schuljahr, die Prüfung vor
der Tür stand. Mein Vater wollte mich, wie
er sagte, lein Jahr verlieren lafsen. Ner neue
5?osmnstcr erhielt daher die Weifung, mit Zu-
hilfenahme der Schulferien, i>. sechs oder acht
Wochen mir alles das beizubringen, was in
eineni vollen Jahre hätte gelernt werden sollen.
?e,,i »Gefährlichen der Prüfung wurde dadurch
begegnet, daß der prüfende Professor ein großer
Gartenfreund war. Nun besaß mein Vater sechs
oder acht große Olcanderstöcke in Kübeln, Diese
wurden meinein Weiterkommen aufgeopfert; die
Klasse ein, zu der mich eben mein Vater, durch
die Erfahrung gewarnt, in die öffentliche Schule
zu schicken bcscklos;.
Na lernte ich denn die neuen Aufgaben nicht
ohne Fleiß, da mir ndor die Ansangsglünde nicht
das Rechnen noch von der deutschen Schule her
fremd war. Ich wurde daher unter die höchst
Mittelmäßigen gerechnet, was, statt meinen Eifer
anzuspornen, idn vielmehr auf das streng
Pflichtmäßige beschränkte.
Nagern stand mir nun, als einem Halb-
erwachfeilen, die Bibliothek meines Vaters offen.
Ta war eme Sammlung von Neiscbcschreibungen,
von denen mich besonders Eooks Weltnmseglung
so interessierte, daß ich bald in Otahciti mehr
zu .Hause war, als iu unserer eigenen Wohnung.
Viiffon, dessen allgemeine Naturgeschichte, mit
seinin Planeten, Kometen und Urrcvolutionen
mich bald verrückt gemacht hätte. Eine Theater-
bibliothel mit allen in Wien aufgeführten
Stücken, unter denen von Schiller uud Goethe
gar nichts, von Shakespeare nur Hamlet und
Lear in der Schröderschen Bearbeitung vorkam.
In Lessings Nathnn störte mich die wunderliche
Abteilung der Zeilen, die Verse, und zugleich
der matte Nusgaug, wo ich vielleicht nicht so
uurecht hatte, Tschecks Geisterseher; die Krone
für mich aber war Guthrie und Grays Welt-
geschichte in mehr als neunzig Bänden, die ich,
ich weiß nicht wie oft, mehr Verfehlung als las.
Von eigentlichen Tichtern war nur Gcßnei und
Ewald Nleist vorhanden. Geßner entzückte mich.
Ich habe ihn seit meinen Kinderjahren nicht
wiVlxv gcl.'ien, glaube aber, auf Bürgschaft
jenes Eindrucks, daß er wirklich vortrefflich ist, obwohl ihn eine aufs Gewaltsame gestellte Zeit
licht mehr anerkennen will.
Mit Klei/t wußte ich nichts anzufangen. Ner
Sinn des Verses war mir damals noch »icht
Niese Leserei reihte sich an eine frühere, in
)er Äüchersaminlung meiner unverehelichtcn
Bänden bestand, Ner erste Band von Tausend
und einer Nacht in einer uralten Übersetzung,
nir vor allem schätzbar. Ein Band von Goethe
nit Götz von Berlichingen, Claoigo und Clau-
)ine von Villabella; daß Götz und der Reiter-
lenken, dagegen hatte ich Weisungen und Adel-
heid wohlseil hergegeben. Im Clauigo ließ ich
)em Beaumarchais alle Gerechtigkeit wider-
liätt.' zu machen. Noch war Wallcnsteins Lager
und die beiden Piccolumini da, von denen ich
nur das erstere in ganzer Folge, die Piccolo-
miui aber uur stellenweise las, da mir die langen
ganzen Einbildungskraft bemächtigte sich Gozzis
Rabe in deutscher Übersetzung, den ich Goethes,
Nas Haus unserer mütterlichen Großmutter,
in deni jene Tante zugleich mit zwei Schwestern
wohnte, war der Zielpunkt aller unserer Besuche.
Ich stand in ziemlicher Gunst bei der alten, ge-
ich mich, daß sie einmal, als meine Mutter über
mein abgeschlossenes Wesen klagte, erwiderte!
„Laßt ihn gehen, ei hat's wie die Geis zwischen
den Füßen," wobei sie, in derber altwicnerischcr
Manier, wahrscheinlich den wertvollsten Teil der
Ziege, das Euter, meinte, das diese, halbver-
borgen, zwischen den Beinen trägt.
In dem Hanse meiner Großmutter erneuerten
unverheirateten Töchter, zugleich zwei meiner
Onlel, von denen der eine vorzügliches komi-
sches Talent besaß, und einige Freunde des
Hausc^ iüln'tt'n nämlich auf einem, von spani-
sch.'» Wänden improvisierten Theater Komödien
griffen sie mich nicht sonderlich an, und ich ge-
stehe, daß die Mandelmilch und eine gewisse
wohlschmeckende Torte, die man in den Zwischen-
akten l,erumtrug, eine starke Nebenbuhlerschaft
stellungen, die man vortrefflich fand, obgleich
Großmutter verbreiteten Sprachfehler hatten,
als Knabe unterworfen war. Erst später, als
ich von Ncmosthenes las, daß er einen, vielleicht
ähnlichen, Fehler der Zunge dadurch bezwäng,
Kieselsteinen laut uud anhaltend las, wurde ich,
indem ich sein Beispiel nachahmte, des Zisch-
lautes bis zum Unmerklichen mächtig. Ich war
Grillparzers sämtliche Werke
Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern, Band II
- Titel
- Grillparzers sämtliche Werke
- Untertitel
- Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern
- Band
- II
- Herausgeber
- Rudolf von Gottschall
- Verlag
- Hansa-Verlag
- Ort
- Hamburg
- Datum
- 1906
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 11.2 x 15.9 cm
- Seiten
- 552
- Schlagwörter
- Dramatik, Literatur, Gedichte
- Kategorien
- Weiteres Belletristik