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VI. Biographischem 401
als Gespenster- und xxreuglaubeu fort, Als
letzteren hat ihn Shakespeare in, Macbeth be-
nutzt, Wenn ihr mir sagt, diese hexen seien der
Tut die Augen ans. Was ihr da Uor euch s> l,t,
das sind hexen, und nicht der Ehrgeiz, So wie
das Gespenst Banquos ein wirklicheo Gespenst ist,
des der Gedankendolch vor dem Morde nur ein
Gcdankcudolch ist, deun uur Maebeth sieht ihn,
ihr aber nicht. Meint ihr aber, diese h«eu-
figurc» bekämen il,rcn Wert für alle feiten da«
durch, daß sie den Ehrgeiz Maebeth^ reprnsen-
abei auch bei der Almfran au oen biblischen
Spruch Uou der 3trafe de>> Perbreeliens an den
Kindern des Verbrechers, bis ins siebente Glied,
und ihr habt einen Akt geheimnisvoller Ge-
rechtigkeit vor euch, statt eine!? Schicksals,
sind die Wahrheiten der Poesie, und die poetische
Idee ist nichts anderes als die Art und Weue,
wie sich die philosopliischc im Medium des Ge-
fühls und der Phantasie bricht, färbt und ge-
staltet.
Auch hat man dei diesen ekelhasten Streitig-
in sciuer schroffsten Gestalt benutzt nud es auch
theoretisch verteidigt hat. Nun gebe ich geruc
zu, daß Schiller sich geirrt haben kanu, uur
tritt diese Möglichkeit, bei den Eintagsfliegen
der Kritik und Literaturgeschickte, mit verdoppel-
tem Maße ein. Zugleich sollten die Teutschen
in ihrer abgeschmackten Gründlichkeit nie den
Unterschied zwischen Poesie und Prosa, noch den
Umstand vergessen, daß ein Trauerspiel, so
bleibt,
worden, weil der widerliche Eindruck der da-
maligen Besprechungen sich mir in der Erinne
rung erneuert. Es hat mir die Freude au oem
abcr, da immer von Räubern, <'>ejpeustern und
ilnalleffetten die Rede war, beschloß ich, bei
einem zweiten Trama, wenn es je zu einem
zweiten kommen sollte, den möglichst einfachen
Stoff zu wählen und mir und der Welt zu
zeigen, daß ich, durch die bloße Macht der Poesie,
Ich fand keinen solchen Stoff, vielleicht nur
dnnim, weil ich keinen suchte. Mein Gemüt
war verbittert, Ich merkte wohl, daß ich als
der letzte Tichter in eine prosaische Ieit hinein«
gekommen sei, Schiller — bei dessen Leichen-
feier im >l,ilnthncrtorthcater ich, von der Menge
mit der Brust gegen eiue halbgeöffnete Tür
gedrängt, bald selbst das Leben verloren hätte,
war tot, Goethe hatte sich der Wmensilwn ^n
gewendet und förderte in einem großartigen
QuietismuZ nur das Gemäßigte und Wirluugö- lose, indes in mir alle Brandfackeln der Phan-
tasie sprühten. So verging Frühling und
Anfang des herbstes machte ich einen Sftazier-
gang längs der Donau in den Prater, Bei den
ersten Bäumen begegnete mir ein noch jetzt
lebender Toktor Ioel, der mich aufhält und mir
fagt, wie der Kapellmeister Wcigel lebhaft einen
duug mit Weigels Musik — und so weiter! Er
selbst habe einen vurtrefflichen Opernstoff ge-
sunden. Obwohl ich nicht die geringste Lust
hatte, einen Operntext zu schreiben, fragte ich
doch nach diesem Stoffe, Er nannte Sappho,
trennten wir uns, er ging nach der Stadt, und
ich dem Prater zu,
Ner Name Sapftho hatte mich frappiert, Ta
wäre ja der einfache Stoff, den ich suche. Ich
ging weiter und weiter in den Prater, nnd als
ich spät abends nach Hause kam, war der Plan
zur Sappho fertig. Ich ließ mir nur noch des
andern Tages in der Hosbibliothel die crhal»
fetzte es ailf der Stelle und giirg fchon des
nächsten Morgens an die Arbeit.
Wir hatten zu dieser Ieit von der Wohnung
einer gleichfalls verwitweten, aber ungleich besser
gestellten Schwester meiner Mutter, im Schotteu-
hofc, zwei Zimmer zur Aftermiete bezogen, Taß
eines unten wohnenden Bäcker!? lagen, fchien kein
Anstand, da der Sohn meiner Tante mehrere
Jahre lang in dem Zimmer geschlafen hatte,
da>? für mich bestimmt war. Bald zeigte sich
aber ein bedeutender Unterschied in unserm ver-
wandtschaftlichen Nervensystem, Ich konnte näm-
gleichfalls im Schottcnhofe wohnende Tante,
eine noch jetzt im hohen Alter lebende vortreff-
liche Frau, mir ein Zimmer ihrer Wohnung,
das sie nur bei Tage benutze, uachts zum
Schlafen zu überlassen. Ich uahm mit Ver-
meinem subfidiarischeu Schlafgemache, wo ich
mich leise zu Vette legte, um de> nächsten Mor-
gens so früh als möglich aufzustehen und bei
zcptpapier an mciuem Stücke zu arbeite». Ich
legte mir, obwohl der Stoff mich anzog, doch
ein tägliches Pensuni auf, dem ich um so mehr
dringend bedurften. Auch die Sappho wurde in
weniger als drei Wochen vollendet.
Mein Freuud uud früherer Ratgeber schrey-
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Grillparzers sämtliche Werke
Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern, Band II
- Titel
- Grillparzers sämtliche Werke
- Untertitel
- Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern
- Band
- II
- Herausgeber
- Rudolf von Gottschall
- Verlag
- Hansa-Verlag
- Ort
- Hamburg
- Datum
- 1906
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 11.2 x 15.9 cm
- Seiten
- 552
- Schlagwörter
- Dramatik, Literatur, Gedichte
- Kategorien
- Weiteres Belletristik