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42? VI,
kauule: Ich werde ihn mild geben.
Ich mnß noch eine Anekdote als hierb-r
geliörig ansiihren, und zn>ar eine Zeufnr ','ln.!
dole. Ein paar Jahre spater suhr ick, mn
deni Hietzinger Gesellfchaftslvagcn von
nach Wien, Ich !am neben einen Hofrat der
Zensnrhofstelle zn sitzen, der mir schon früher
als Polizeidirettor in Venedig luahrcnd >ne,i,^>
dortigen Äufentlialtes alle Frenndlichleileu er
iviefe» batte und mir bis aus diesen Augenblick
^iefpräch mit der damals in Wie» slereowpe»
'^rage: loarnni ich denn gar so wenig schreibe?
Ich erwiderte ihm- er, als Veauitcr der Zensur,
müsse den Grund wohl am besten wissen ,^ >,,
schworen, ^ Als Ihr Oltolar zwei Jahre
Lilien Sie, >ver es zurückgehalten >!>>!
der ich, weiß Gott, Ihr Feind nicht bin, —
Aber, Herr Hofrat, »ersetzte ich, was haben
Sie denn an dem Stücke Gefährliches gefnuden?
— Gar nichls, sagte er, aber ich dachte mir:
man lanu doch nicht wissen —! Und das
sprach der Mann im Toue der wohlwollendsten
Gulmnligkeit, so daß mnu wohl sah, der mit
den Augelegeubeiten der Literntnr betraute Vc»
anite habe nickn die geringste Vorstellung von
literarischem Eigentum, solvie daß die Arbeit
des Tickuers >venigsiens ebensoviel Anspruch
auf ^^rliunii und Vergeltung habe, als die des
Beamte,, oder Handwerkers,
Taß nnter diesen Umständen in dem da-
maligen Österreich für einen Tichler lein Platz
iü der mich weder ein früher vorbereiteter Stoff
zur Aucfülirung reizte, noch ein neuer hinzu»
kam, welches letztere von da an der Grnud«
tnpus meiner poetifcheu Produktiouskrnft ge-
blieben ist. Auf alte Stoffe zurückkommen, lnil
^entschritte in der Vildung, die man in der
Zwischenzeit gemacht hat, werden zu hinder»
niisen Man fühlt sich genötigt, am Plane
zu ändern, was manchmal auf die Geschloiicn
heit der ^orin, manchmal sogar aus die Ein-
heit dec Anschauung von nachteiliger Wirkung ist,
Mir war damals zumute, als ob ich nie
mehr elwao schreibe» würde, Nazu traten noch
in Vcrwirr-ung gekommene Herzensangelegen-
heiten, Ich beschloß, dem Zustande dnrch eine
Aieise ein Ende zu machen,
^ns die Herzensangelegenheiten betrifft, so
werde ich, weder jetzt noch später, ihrer im
(Entwickelungsgänge gespielt haben. Ich bin
5^crr meiner Geheimnisse, aber nicht der der
andern, Wie jeder wohlbeschaffcne Mensch fühlte ich mich von der schonen HälNe 5>'i
Meuschheit angezogen, war mit mir a
zu wenig ^ufried.'ii, um zn glnnben, di>>
drücke in kurzer Zeit In'rvorl'ringen in lonnen,
War e>? aber die vage Purstellung ron Poesie
d Ticht d slbst d s S c h i i
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un i ter, oder selbst das Schwevilninge
meines ^vesens, das, wenn es uicht abstößt,
gerade ans Widerspruchsgeist anzieht: ,
mich tief verwickelt, während ich noch glaubte,
in der ersten Aunäln'inng zn sein. Ta^ ga>,>
nnn Glück und »»glück iu unclister Nähe, ol>>
wohl lelUere-^ im oerslarllen '^ >af',e, da mei,i
eig.,!liick!es Streben doch immer dalnn ging,
halten, der meiner eigentlichen Guiliu, der
Kunst, die Annähernng nicht erschwerte, oder
wohl gar unmöglich machte.
Eine Neisc ist ein vortreffliches Heilmittel
iür verworrene ^nstande, Tie^mal sollte das
Ziel der meinigen Teulschlnnd sein, Tie den!
schcn Größe,i hatten zwar so ziemlich Abschied
genommen, noch aber lebte einer, >'>(' '
zu sprechen oder auch nur zn sehen, mich im
beter Goethes, so weuig als irgend eine^ andern
trafen, fcl'ien mir die Poesie zu liegeu: die
Neiz der Individualität, teil5 ,varen fie nicht
',,! irren nmnlich, Vesonders (^ wethc hatte fich
seit Schillers Tod von der Poesie ab nnd den
Wissenschaften zugewendet, Indem er feine
Wärme i» zu viele Nichtnngen verteilte, wurde
sie schwächer in jeder, seine n.'neslen poetische»
Hervurbringnngen waren lan oder tülü und,
wenn er sich der Haltnng wegen dem
zuwendete, manieriert, Tie Einpiindnngcni ittiq
tcit, die er der danmligen .jeit inittcitte, hat
vielleicht vor allem zum Verfall der Poesie
Nohheit^des junge» Teulfchlands, der Volks»
Zähne zi, bekommen. Nichtsdestoweniger ist er
einer der grüßten Dichter aller Zeiten nnd
der Vater unserer Poesie, Klopstock bat den
Anstof; gegeben, Lessing den Weg gezeigt, Goethe
ist ihn gegangen. Vielleicht ist Schiller ein
größeres Besitztum der deutschen Nation, den»
ein Volk braucht starke, fortreißende Eindrücke,
aber Goethe scheint der größere Tichter zn sei».
Er füllt ei» eigenes Vlatt in der Entwich lnmi
des menschlichen Geistes, indes Schiller zwischen
Racine und Shakespeare in der Mitte steht,
So wenig ich nnn mit der ueuesteu William-
leit Goelches einverstanden war und bei seinem
damalige» ablehnenden Qnielismus hofsen
konnte, daß er den Tichter der Alnifrau und des
goldeueu Vließes uur irgeud ciucr Beachtung
würdigen werde, so war mir doch, als ob fchon.
Grillparzers sämtliche Werke
Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern, Band II
- Titel
- Grillparzers sämtliche Werke
- Untertitel
- Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern
- Band
- II
- Herausgeber
- Rudolf von Gottschall
- Verlag
- Hansa-Verlag
- Ort
- Hamburg
- Datum
- 1906
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 11.2 x 15.9 cm
- Seiten
- 552
- Schlagwörter
- Dramatik, Literatur, Gedichte
- Kategorien
- Weiteres Belletristik