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VI, Biographisches. 439
mich anfangs für den Schriftsteller Lustine,
mit dem ich Ähnlichkeit haben sollte. Bei
Nennung meines Namens zeigte er große Freude
wahrscheinlich in der nächsten Stunde vergessen
hat. In der gegenwärtigen Stunde aber unter-
hielten wir uns vortrefflich. Ich habe lanm
gehört. Er hatte aber mit Borne und über»
Haupt mit den selbst verständigeren nntei den
Teutschen das gemein, das, er bei aller Mi>>
für das Ganze der deutschen Literatur hatte,
ja sie allen anderen voraussetzte. Ich aber
tenne kein Ganzes, als welches aus Einzelnen
besteht, Ticsen aber fehlt der Nerv und der
baden, weuu ich ein Buch lese, Tiefes Sich-
selbstaufgebcn hätte nuch einen Wert, wenn
es ein Aufgehen in den Gegenstand wäre. Aber
nuch der Gegenstand wird aus feiner ursprüng»
lichen Prägnanz gerissen uud zu Ansichten subli-
befindet, in der die Schatten Geister und die
Geister Schatten sind. Ich ehre die dcutfche
Literatur: wenn ich mich aber erfrischen will,
greife ich doch zu einer fremden,
So fehr mir Heine ini Gespräch unter vier
wir ein paar Tage. später bei Nothschild zu
Mittag waren, Man sah wohl, daß die Haus-
wirte Heine fürchteten, nnd diese Furcht miß-
brauchte er, um sich bei jeder Gelegenheit ver-
deckt über sie lustig zu machen, Man »ins!
aber bei niemand esfen, dem man nicht wohl-
will, und wenn man jemand verächtlich findet,
nnis! man nicht bei ihm essen, Es setzte sich
daher auch von da an unser Verhältnis nicht
sort. Unter den Gästen bei Rothschild befand
sich auch Rossini,
Ich hatte ihn vor Jahren flüchtig in Italien
gesehen. Jetzt war er ganz Franzose geworden,
sprach die fremde Sprache wie ein Eingeburner
und war unerschöpflich an Witz und Einfällen,
Seine Feinschmeckerei ist bekannt. Er war, ob-
wohl Hausfreund, diesmal vornehmlich geladen,
um die Proben einer anzukaufenden Partie
Ehnmvagner zn versuchen, worin er als ein
vorzüglicher Kenner galt, Beim Nachhausegehen
gingen wir eiue Strecke uiiisammen. Ich fragte
:I,n, ob das Gerücht wahr sei, daß er für die
Krönung des Kaisers von Österreich zum Kö-
nn,.- uou Italien eine Oper schreibe. Musikalisch
uiertwürdig war mir seine Antwort, Wenn
man Ihuen jemals sagt, erwiderte er, daß
Rossini wieder etwas schreibe, so glauben Sie's
nicht. Erstens habe ich genug geschrieben, dann
gibt es niemand mehr, der singen kann.
Im übrigen habe ich in Paris gesehen,
was jedermann sieht, es ist daher darüber nichts
zu sagen. Als die Abreise nach London heran-
rückte, stellten sich gewaltige Bedenken wegen
der Sprache ei», Ich halte nämlich das Eng- lische ohne Meister, bloß aus Grammatik und
Wörterbuch gelernt, nie ein Wort eugliich ge-
sprochen, ja nuch nie anders als im Vorüber-
gehen englisch fprechen gehört. In den letzicn
ein artiges Fräulein meiner Bekanntschaft, mich
in etwas mit der Aussprache betannt zu machen,
eine Bemühung, die ein Engländer, den ich
in Paris fand und von Wien l,er tannte, einiger»
nur, wie himmelweit ich von dem sprachlichen
Ehinesentum der Engländer entfernt sei. Na
übrigens mein ganzes Wesen ans Bedenken
und Unbesonnenheit zusammengesetzt ist, so be-
schloß ich, erst im Strome selbst das Schwimmen
zu versuchen,
Tovci überzusetzen. In Nonlogne aber fand
sich ein englisches Tainpsschiff, welches iich er«
bot, uni einen geringen Preis die Reisende,!
unmittelbar nach London zu bringen, ^dwohl
auf diese Art die Gelegenheit verloren ging,
kennen zu lernen, fo war doch die Ablur^ung
ich ohnehin beschlossen batte, von der Haupt»
zu mache». Ich schiffte mich also ein, über»
stand bei nicht stürmischer, aber ziemlich be-
wegter See eine Nacht, die ich trotz des lalten
Windes auf dem Verdeck zubrachte, da schon
der Tunst der überfüllten Kajüten mir An-
mahnungen des Seeübels hervorrief, Tes an»
Proben meiner Aussprache des Englischen, Ich
begehrte nämlich beim Frühstück Butter, uud
man brachte mir — Wasser, Tie durchwachte
Nacht und die gestörten Eingeweide ver»
kümmerten mir in etwas den Eindruck der sich
allmählich nähernden Weltstadt.
Im Zollhause angetommen, zeigte sich ein
neues Mißgeschick, Ich liatte in Bonlogne mit
inacht: da das Tampfschiff „Esmcrald" mit eine,n
zweiten konkurrierte nnd sie sich wechselseitig
im Preise hcrabsieigerten, so daß das Fahrgeld
Franzose übrigens noch weniger Englisch ver-
stand, als ich, nämlich gar nichts, so kamen
wir übcrein, daß ich sür "beide die Fahrbillette
lösen, er dagegen das gemeinschaftliche Gepäck
besorgen follte, zu welchem Ende ich ihm eine
Karte mit meinem Namen gnb.
Im Iollbansc wnrden die einzelnen Reisen«
endlich die ganze übrige Gesellschaft abgefertigt,
und mein Name erschien noch iinuicr nicht, Ta,
als schon eine neue Tampfjchiifsbemciunung in
Nciuiens'Anfrnfer ins A»!is',iniiuer, wo mein
Koffer noch allein am Bc>d.n stand, Tcr Win-
Grillparzers sämtliche Werke
Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern, Band II
- Titel
- Grillparzers sämtliche Werke
- Untertitel
- Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern
- Band
- II
- Herausgeber
- Rudolf von Gottschall
- Verlag
- Hansa-Verlag
- Ort
- Hamburg
- Datum
- 1906
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 11.2 x 15.9 cm
- Seiten
- 552
- Schlagwörter
- Dramatik, Literatur, Gedichte
- Kategorien
- Weiteres Belletristik