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VI, Biographisches. 45?
Aus dem Atelier des Dichters.
Äerde ich ie mehr als ein mittelmäßiger
Dichter werden, oder nicht? Dies ist eine Frage,
an deren richtiger Beantwortung ich beinahe
verzweifle, Für beide entgegengesetzte Behaup-
tungen lassen sich wichtige Gründe anführen!
Ost fühle ich innig, daß ich Dichter bin, oft
zürne ich auf mich selbst, daß ich mich bei mir
selbst eines Vorzugs freue, der doch wirtlich nur
in meinem Kopfe Realität haben kann. Es ist
wahr, ich habe eine lebhafte, eine glühende Ein»
bildnngskrnft, viele glückliche, viele traurige
Stunden meines Lebens, die Zerrüttung meiner
lörperlichen »Gesundheit, und meine näheren Be-
kannten bezeugen dies, ich habe hestige beiden
schaftcn, was zwar mit dein vorigen alles eins
ist, und gewiß, das muß ein Mensch besiNen,
der nur einigermaßen Anspruch auf den Namen
eines Lichters machen will Aber qualifizieren
sie auch allein zu einem Poeten, sind nicht andere
Eigenschaften, die ich weder kenne, noch besitze,
nonoendig, i!in sich in die Iahl der Priester der
Muse zu stellen? Gehört hierzu auch vielleicht
der turor paet,ieu8, der alles an einem Nichter,
und den ich, wenn ich anders ehrlich reden will,
— nicht habe. Andere Tichtcr macht das Nichten
warm, mich macht es kalt, Das Haschen nach
Nortcn, Silben, Reimen ermüdet mich, nnd das
svener ine,ner Phantasie mnß den höchsten Gipfel
erstiegen haben, wcun ich imstande sein sull, ein
Gedicht an einem Tage zn vollenden, wie ich es
mit der Ballade: „Das Grab im Walde"
tat, Damals, erinnere ich mich, waren meine
Gefühle bis zum Ende in Bewegung, die Verse
und Reime flössen leicht aus meiner Feder, so
wie dies auch bei dem Gedichte „Der wahre
Glaubc" der Fall war, uud beim „Mädchen
im Frühl ing".
Alle übrigen, auch noch so kleinen Gedichte
stickte ich müin'am nnd stückweise zusammen, und
ich kann mit Recht sagen, daß ich sie im Schweiße
will anfhörcn, denn meine Eitelkeit regt sich!
Es ist doch in der Tat sonderbar, daß bei
oder Unwertes ansehen? — Alle Dichter (wie ich
wenigstens glaube) freuen sich der ungestörten
Muße, um dichten zu können; wenn sie unbc»
schönsten Gedichte ihrer Feder. Bei nur ist dies
gerade umgekehrt! ich dichte nie weniger, nie
nie gern Verse, aber dennoch am liebsten dann,
wenn ich ganz mit andern Dingen mich be-
schäftigen sollte. Wenn ich, umringt mit
^olimiten und Scharteken, dem nahenden
kramen entgegensehe, fühle ich mich am aufge-
legtesten zur Poesie, da ich hingegen nnn dnrch
zwci Monate, die ich während der Vakanzen voll schreiben.
Mein Vorsatz ist: der Verstandes- und Mei-
nuugspocsie uuscrer Zeit nicht nachzugeben, Das
Bild, die Gestalt, Gefühl und Phantasie festzu-
halten nnd der Unmittclbarkcit der Anschauung
zu gehorchen, die splitterrichtcndc Kritik mag
dazu sagen, was sie will.
Warum ich Schriftsteller der vergangenen
aus den Zeitgenossen vorziehe, liegt auch mit
dariu: daß die Irrtümer jeder Vorzeit klar
vor den Augeu der Nachwelt daliegen und man
haftet fich mit fo vielen Fäden an nns, daß
felbst schon die Gewalt, die man anwendet, sich
von ihren Irrtümern losreißen, ein Zuviel
gcit.
Wenn es Leute gibt, die immer die Farbe
ihrer Umgebnng tragen, so ist es höchst sonder-
barerweise bei mir gerade das Gegenteil. Je
entzückter bei Beschallung eines Kunstwerkes z.V.
die andern sind, desto kalter bin ich, und je
gleichgültiger die andern, desto gerührter werde
ich dagegen.
So fühle ich mich anch unwiderstehlich ge-
zogen, dasjenige zu tadeln, was andere be-
sonders übermäßig loben; uud, worüber jeder«
man loszieht, das zu verteidigen und die guten
reiten hervorzuziehen, macht mir ein eigenes,
bis zur Hartnäckigkeit gehendes Vergnügen.
Die Empfindung hat bei mir immer eine
vorherrschende Neigung zum Formlosen; das
Formgeben bringt mich dein Verstände näher,
als billig ist.
Daß mir die meisten Dinge im Leben miß-
lingen, kommt wohl nur daher, daß ich sie nicht
so angreife, wie es sein müßte, um sie zum
besten Ende zu bringen, sondern nur snche, sie
sobald als möglich vom .Halse zu schaffen. Da»
her kommen die Verlegenheiten immer wieder
zurück, und ich weiß recht wohl, daß, wenn ich
mich über mein böses Geschick beklage, ich die
schuld auf meine Ungeschicklichkeit, mein Auf»
schieben, mein Zandern und Übereilen nehmen
muß.
Was mein — weniger absichtliches, als durch
Poesie dein Ursprünglichen, durchaus Bildlichen,
Grillparzers sämtliche Werke
Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern, Band II
- Titel
- Grillparzers sämtliche Werke
- Untertitel
- Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern
- Band
- II
- Herausgeber
- Rudolf von Gottschall
- Verlag
- Hansa-Verlag
- Ort
- Hamburg
- Datum
- 1906
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 11.2 x 15.9 cm
- Seiten
- 552
- Schlagwörter
- Dramatik, Literatur, Gedichte
- Kategorien
- Weiteres Belletristik