Seite - 523 - in Grillparzers sämtliche Werke - Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern, Band II
Bild der Seite - 523 -
Text der Seite - 523 -
VII, Aphorismen,
Wiltlichleit sin sie, sie achtel ihn nls ihr W,'>!,
nicht sich als seines.
Man hat die französische Literatur unmora
lisc>> genannt, die deutsche ,s! es viel mehr, In
Frankreich tritt die Unsittlichteit mit Frechheit
auf, und der tongeniale Teil des Publikums
geuießi sie mit Übermut, ^u Deutschland macht
sich das llnnioralische als höhere Wcltansicht
geltend, nntuntor ivie eine Ar! »Gottesdienst, und
das Publikum nimmt es hiu nls etwas, das sich
von selbst versteht und wogegen nichts einzu-
wenden ist, Letzteres n't bei weitem das Ge-
fährlichere, denn gegen Spitzbuben gibt es Kerker
findet sich leine Schrante und tein Gesetz,
Nichtsdestoineuiger ist der Teutsche moralisch ini
gewöhnlichen Lebe», aber olnie Energie, ineil
ohne Überzeugung,
So sind die Idealisten, weil sich die Materie
«Grunde, warum mau das Licht nicht hören und
den schall nicht sehen tann.
uannlen: Gesühle doch nichts als untlaii
die eben loegen ihrer Nutlarheit leicht eine Ver
mischnng n,it den Leidenschaften eingehen und
heftiger, Wirten, als die deutlichen aus klarer
Erkenntnis hcroorgcgangeueu.
Geht denn aus der Spinozistischen Ansicht
fürs Praktische etwas anderes hcruor, als jener
denkbar höchste Grundsatz: Sich selbst nichts ver-
zeihen und den andern alles?
Die einzig mögliche Art, die Pflichten des
Menschen zu beweisen, ist gewis; die des
Spinoza, sie sämtlich auf die der Se>bster!,a!!nng
zu beziehen, oder vielmehr letztere als die ein-
brauchen tann,
Wenn man die Worte des Spinoza für sich
und außer ihrem >',usammenhnng nimmt, so ums,
er einem oft lächerlich, oft sogar abscheulich uor-
luminen. So z. B, wenn er (pi-op. 50, part, 4
Ltdie,) sagt! das Mitleid sei an sicl, iibe!.
hängigteit der menschlichen Natur so sehr aner-
kennt, daß er fogar die feindlichsten Leiden-
schaften, als gleich natürlich wie die sn>. ln'bcn^
würdig gehaltenen, hinstellt und, ihren, Tascin
nach, rechtsertuU, er weis, wohl, daß gerade
der bessere Mensch seiner Natur nach Mitleid
suhlen muß, also auch darf; aber er vcrwirfl
dienstbar, aus einem beherrschenden zn einem
leidenden macht, ihn zu Tätigkeitsäußerungen
bestimmt, die die allgemeine Vernunft ,n,ß,
billigen muß.
Niemand ist gewöhnlich eifriger, dem Men-
schengeschlechte die Freiheit ldes Willens) zu mutieren, als wer sie selbst am wl>ni,isn'n i,iU,
^iir jene, die der eigentli>>eu Vernunft fällig
find, hat dieselbe in allen Fällen, wo e^ üi
siiimm'iide Gewalt, daß, nnch Iiierbei eine ^'atiir-
Notwendigkeit anzuerkennen, ilnien nicltt schwer
(5^ ist falsch, daß oie Vor >lani,sche Philu»
wMNl' das Ding-lln-sich nicht getannt l,nbe.
Wenn Spinoza an die Sitze seines Systems
den Satz stellt: Gott ist die Substanz, bestehend
kannt sind, so gibt er ia stillschweigend zn, daß
en0!>ch,>n, !>,!>'- nnb^lannten Attribute gar nicht
hindert uichts, daß selbst in jenem «reis, den
wir uorstelll'n, Bestandteile jener uns unfaß-
baren, göttlichen ^!vejcnlnitc,i entlnilten find,
so das eigentliche T in g«an,«sich bilden, nicht
allein unserm Vorstellen, sondern selbst unserm
Tenlen unerreicht.
Spinoza mag sich wenden, wie er will: cr
hat sich seineu Gott doch geistig gedacht. Seine
Schöpfung hängt immer von» Verstände Gottes
ab, und wenn er alles auf muäus und quwz
reduziert, so sind Nulie und ^eweiinng Eigen»
schiften, die ans dem Begriffe selbst nur dem
Nentcn, der Materie aber nnr aus der Erfah-
rung, oder aus einer Abliangigteit vom
Tenten znkommen können. Seine Materie ist
daher kein Attribut, sondern nur ein, w,'nn
auch notwendig mit der Snbstanz verbundener
Voltaire hat Leibnizcn einen Charlatan ge-
das-, er dnrch lächerliche Spelnlationen sich >,,>!'!
für das geiuöhiiliche ^eben oerdirbt und sich eine
Logik aneignet, die die Widersprüche für Bc--
weise, nnd Trännic für Tinge anjieht.
Jeder, der sich der Literatur, wenn auch bloß
der schönen, widmen will, sollte Kants Werke
schon bloß wegen ihrer sireng logischen Form,
Nichts ist mehr geeignet an Deutlichkeit, Son-
derling und Präzision der Begriffe zn gewöhnen,
als dieses Studium, und wie notwendig diesc
Grillparzers sämtliche Werke
Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern, Band II
- Titel
- Grillparzers sämtliche Werke
- Untertitel
- Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern
- Band
- II
- Herausgeber
- Rudolf von Gottschall
- Verlag
- Hansa-Verlag
- Ort
- Hamburg
- Datum
- 1906
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 11.2 x 15.9 cm
- Seiten
- 552
- Schlagwörter
- Dramatik, Literatur, Gedichte
- Kategorien
- Weiteres Belletristik