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523 VII, Äpliurismen.
Tns Evangelium Iohannis hat einen Punlt
hervorgehoben erscheint. Nie Hinneigung zum
philosophisch-mystischen Geschwätz in seinem ^ieb
lingsjünger nnißte Christus doch bekannt sein,
nicht gesagt: Freund, laß diese Torheiten nnd
l,alte dick, gleich mir an die Lache, um so meln'
als sie eine göttliche ist und deine Phrasen nur
inenschlichc Spitzfindigkeiten. Hat er ihn aber
davon nicht abgemahnt, so dürste er we>l!l selbst
nicht ohne Zusammenhang init der Philoioplne
seiner nnd der vorhergegangenen Zeiten gewesen
sein, so daß das Ursprüngliche seiner ^eiire n,,d
Haltung in eine etwas schiefe Stellung geriete.
Man hat die christliche Religion so ost als
die Hanptnrsache der ueneren Bildung, als
ihre letzte und wesentliche Bedingung bezeich-
net, Sie ist es cinch, aber nnr negativ, Nie
christliche Religion hindert nninlich leine Arl
der Bildung, und das zwar darum, weil s,e
,,ns!er de,u vortrefflichen Satze: liebe Gott über
alles und den ?>ächsten, ivie dich selbst, durchaus
nichts Festeo i» ihren Anordnungen Hai, Sie
bereitet daher allerdings dnrch ihren Eharnkter
einer allgen,ei,,en >>n,nanität der Vildnng den
Weg, dann aber geht sie ihr nach, statt i!n om
zugehen, nnd Ivird selbst gebildet, statt andere
zu bilden, Naher !var das Christenl!,,,, in
seinen Anfängen qnietistisch und separatistisch,
später sektiererisch, im Mittelalter roh nnd ab
in der neuesten Zeit hat es mit der Bildung
Frieden geschlossen, aber sehr nuf eigene >!o>!cn
Nie christliche Religion hat das vor allen
andern voraus, das; sie sich so leicht allen >liilt„>
siiifc», gewissermaße» sogar den höchsten an
paßt. Nies rührt von dem Unbestimmten ihrer
Lehrsätze und Vorschriften her, das wieder in
dem Fragmentarischen ihrer heiligen Schriften
seinen Grund hat, Ihre Moral ist, wenn auch
überspannt, doch gnt und löblich, ihre Mothen
!>n,n man symbolisch nehmen, wen» sie einem
trud nicht anstehen, und der schrankenlose Geist
ist endlich froh, fich durch etwas Positives zu
gar zu unverrüctlich ist, So könnte man wohl
sagen, die christliche Religion werde daliern bis
ans Ende der Welt, Wenigstens wird sie nicht
leicht von einer andern verdrängt werden.
Nas Christentum ist die Religion der Melan-
choliker und Hyftochondristen, Wenn dagegen
der Islam das Phlegma begünstigt und der
Judaismus seinen Anhängern eine gewisse chole-
rische Heftigkeit mitteilt, so kann mau de» grie-
chischen Heiden wohl recht gut den glückliche,,
Sanguiniker nennen. Es ist in neuester Zeit ein großem <''>'i,in,,m'r
Versuche, antiquierte >lonfesnons nnd Aber-
glaube,,-> Elemente wieder in? Leben zu rnfen.
Nie Sache ist sür den '.'luge,,blut wob! nnange-
betrübende Art gestört nnd gehemmt finden.
Für die entserntere, ja für die nächste Zn-
lnnft ist daraus aber dnrchans lein Zcbaden zn
besorgen,
positiven Religion durchaus nichts ;u lwisen ist,
liegt in dem Aphoristischen nnd r,i>, ^>>l,'>i>n
heitlichen der >,c,l,gen Sslniften deo ^lnislen
tnms. Niese )üe!ig,i.'n hat leinen abiMiMi",, m u
fassung und Auslegung einer >!,>>>>>' l>, ,!>>,!
Ganzheit und Znwumn'nlmng in die Masse vmi
Andeutn,,gen, Paiabeln, scheinbare,! Wider
iprüchen »ud llberireibnngen. Ä.nn n>ird aber
pragmatische, ans Untersuchung, Verfeinerung,
^nrn5, »'>ewi,,n, nultt bloß gestellte, sondern
basierte nene ^eit auf jenen Standpu,,!, b> r
llnschuld zurückbringen, nm sich frenide Aus-
legnngc» in irgend etwas blind gefallen zn
lassen. Nie atomistischcn Lehren und ^agen der
Schriften des alten und uenen Bundes aber in
ein unruhiges, zerrissenes, eigenwilligem l^mnt
gegossen, müssen darin notwendig eine solcbe
Gärung, ein solches!öerengebräu hervorbringe,-,
daß der unselige ^rperimentatur bald seln'n
würde, er hätte besser getan, die gefährliche
Mischung ihrer eigenen Abklärung zu überlassen,
Wenn die französischen Liberale,,, wie e> wobt
teilweise kommen möchte, sich anch noch anf die
Religion werfen, dann erst ist des llnheil-> kein
llnde uud keine Hilfe, In Deutschland ist das
Amalgam schon halb vor sich gegangen, da macht,
cs aber der Mangel an Tatkraft nuschädlich.
Ner Charakter der neuen Zeit ist de> ,",,,c
der Untersuchung Teils die vorgeschrittene Vei
siandesbildnng l^atnrwisfenschaft), teils das
durch Übervölkerung gesteigerte materielle ^e
dürfnis, treibt unabwcislich zur Analyse, nm
durch Kenntnis der Gründe und Bestandteile
hier zu neuen Entdeckungen, dort zn nenen Er-
findungen nnd Befriedignngsmitleln wi!',n°
schreiten.
Wenn nun einmal der Geist der Untersuchung
allgemein geworden ist, so setzt er sich ni>l,i Ieu!t
Schranken, am allerwenigsten aber läßt er sich
solche von außen nnd willkürlich setzen, Ter
Verstand gibt gern zn, daß es etwas für i!,n
Unlösliches gibt, und erkennt daher als eine
Wohltat, wen» der sür ihn uniiberschreübare
Abgrund durch ei» Ehrfurchtgcbietcudes anc-
Grillparzers sämtliche Werke
Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern, Band II
- Titel
- Grillparzers sämtliche Werke
- Untertitel
- Neue illustrierte Ausgabe in zwei Bändern
- Band
- II
- Herausgeber
- Rudolf von Gottschall
- Verlag
- Hansa-Verlag
- Ort
- Hamburg
- Datum
- 1906
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 11.2 x 15.9 cm
- Seiten
- 552
- Schlagwörter
- Dramatik, Literatur, Gedichte
- Kategorien
- Weiteres Belletristik