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Schließlich wäre nvch eine Reihe von vvlksthümlichen Meinungen anzuführen,
welche auf Liebe, Hochzeit uud Ehe sich beziehen. Hier könueu indeß nur einige der land-
läufigsten Platz finden. Wenn Liebende im Frühjahr die wiederkehrenden Schwalben zum
ersteu Male nicht einzeln, sondern paarweise fliegen sehen, so heiraten sie noch in diesem
Jahre. Wenn einem Mädchen das „Fürtuch" (die Schürze) hinabfällt, weil die Bänder
sich gelöst haben, so wird ihr der „Schatz" untreu werden. Zerbricht eine ledige Person
einen Spiegel, so mnß sie mit dem Heiraten noch sieben Jahre laug warten. Liebende
sollen sich keine schneidenden Instrumente (Messer, Scheere) schenken, denn dadurch wird
das Liebesband entzwei geschnitten; auch Ringe, geweihte Gegenstände (Rosenkränze,
Gebetbücher und dergleichen) sind bedenkliche Geschenke. Am Hochzeitstage gelten als vor-
bedeutend: das Wetter, ein des Weges kommender Leichenzug, das Flackern eines Lichtes
ans dem Altare, die Unachtsamkeit der Braut, wenn sie sich mit Wein beschüttet (ihr Gatte
wird ein Trinker werden), das erste „Ja", wenn der Mann es spricht (denn dann wird
das Weib in der Ehe herrschen) und anderes mehr. Ein Sprichwort sagt: „Weinende
Brant, lachende Frau" und umgekehrt. Zu Gmüud im V. O. M. B. war es früher Sitte,
im Elternhause der Braut vor der Trauung einen Prügel im geheizten Backofen zu ver-
brennen, damit die Frau in der Ehe vom Manne keine Schläge bekomme. Am Wechsel
setzen die Hochzeitsgäste den Rosmarinzweig im Garten in die Erde; grünt er, so werden
die Neuvermählten glücklich seiu.
Wir gehen nuu zu den Todten bräucheu des niederösterreichischen Volkes über.
Ist ein Hausgenosse gestorben, so drückt man ihm die Augen zu, und damit sie geschlossen
bleiben, legt man uasse Läppchen oder schwere Kupfermünzen darauf, welche nach dem
Gebrauche verschenkt werden. Oft auch wird das Kinn mit einem Tuche „aufgebunden",
damit der Mund nicht offen stehe. Gewöhnlich öffnet man sogleich nach eingetretenem Tode
die Fenster des Sterbezimmers, damit, wie man hier und dort kindlich meint, die Seele
„ausfahren" könne; auch werden die Uhren im Zimmer zum Stehen gebracht, denn um
den Todten muß Stille herrschen und sollen die stehenden Zeiger ein Bild der abgelaufenen
Lebensuhr sein. In bürgerlichen Familien verhängt man sofort den Spiegel, weil er sonst
erblinden würde. Der Todte wird, nachdem man ihn drei Stunden im Bette hat liegen
lassen, gewaschen und mit sauberen Kleidern, an manchen Orten sogar mit dem Hochzeits-
gewande angethan. Dieses Geschäft besorgen zuweilen bestimmte Personen, wofür sie das
Betttuch des Verstorbenen und einige von seinen Kleidungsstücken (von einem Manne
z. B. Hemd, Hose und Rock) bekommen. Das Bettstroh wird auf dem nächsten Felde
oder aus offenem Wege verbrannt. Dabei knien die Hausleute und Nachbarn um das
Feuer herum und beten für den Dahingeschiedenen. An einigen Orten glaubt man, daß
der Rauch die Seele zum Himmel trage. (V. O. W. W, im Gebirge.) Die Leiche wird
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Wien und Niederösterreich, 2. Abteilung: Niederösterreich, Band 4
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Wien und Niederösterreich, 2. Abteilung: Niederösterreich
- Band
- 4
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1888
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 17.75 x 26.17 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch
Inhaltsverzeichnis
- Landschaftliche Schilderungen aus Niederösterreich 3
- Zur Vorgeschichte Niederösterreichs 123
- Zur Geschichte Niederösterreichs 145
- Zur Volkskunde Niederösterreichs 183
- Die Architektur in Niederösterreich 263
- Burgen und Wohnstätten in Niederösterreich 287
- Malerei und Plastik in Niederösterreich 305
- Volkswirtschaftliches Leben in Niederösterreich 317