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Bedürfniß, Brauch, Tracht und Ausdruck. Wie der Stamm znm Volke, so verhält sich
nun die Mundar t zur Sprache. Dieselbe theilt aber auch die Schicksale des Volkes:
politische Trennung difserenzirt, Vereinigung assimilirt den sprachlichen Ausdruck. Wie
für das erstere Holland, ist für das andere Österreich ein typisches Beispiel. Über das
ganze weite Gebiet der deutschen Zunge in Österreich wird heute die gleiche Mundart
gesprochen, ein Bergdialect, eines der Hauptglieder des großen deutschen
Sprachstammes, das Baierisch-Österreichische, das von der Quelle der Eger bis
zu der des Jsonzo, von der Malser Heide bis zur Beczwa-Fnrche herrscht, ja darüber
hinaus (Brody; sctte et ti-eäeci cominuni), nie fest begrenzt nach Osten, desto schärfer
jedoch nach Westen, freilich erst jenseits der Marken unseres Reiches (Lechgrenze).
Wenig günstig kantete das Urtheil der Ahnen über unsere Sprache; der rauhe
Bergdialect galt ihnen für grob und uuschöu — wir dürfen, ohne in süßliche und über-
triebene Schwärmerei zu verfallen, den Ausdruck der Heimat als einen der Gruud- und
Ecksteine des germanischen Sprachbaues betrachten. Wie sich im Prisma der Sonnenstrahl
bricht, vielfach und vielfarbig erscheint, in sieben Strahlen zerlegt, und wie jeder einzelne
derselben reale Wirklichkeit besitzt und sie alle zusammen doch nur ein Ganzes bilden als
weißer Strahl, so existiren die Mundarten neben einander und verschmelzen mit einander
in der Schriftsprache, zu deren Bildung jeder Stamm zu seiner Zeit das Seine beigetragen,
auf der jüngsten Stufe ihrer Entwicklung, im XVI. Jahrhundert aber vor Allem die
damalige Ausdrucksweise der kaiserlichen Kanzlei — das Österreichische.
Hierbei ist wohl zu unterscheiden zwischen dem Dialect der Landschaft und der
laudesüblicheu, namentlich in vornehmen und gebildeten Kreisen angewandten Umgangs-
sprache. Diese lehnt sich an die Schriftsprache, die dabei mehr oder minder dem Dialeete,
besonders in Rücksicht auf Wahl des Ausdrucks, aber uuter Vermeidung alles dessen,
was niedrig oder abgebraucht erscheinen könnte, zumeist aber hinsichtlich des Satzbaues
assimilirt wird. Diese darzustellen ist beinahe ein Ding der Unmöglichkeit, weil im Wort-
schatz einzelner Gebiete die Anwendung gewisser Ausdrücke in verschiedenen Bedeutungen,
insbesondere aber die Vermeidung mancher völlig schriftgemäßen Wörter zahllose kaum zu
sixireude Variationen zur Folge hat.* «
Es ist ebenso unmöglich, ein vollständig fixirtes, unbedingt abgeschlossenes Bild
einer lebenden Sprache, auch auf uoch so beschränktem Raume, zu geben, als es gelingt,
einen Wasserfall im Lichtbilde darzustellen; immer mahnt das Resultat an die
* Alle umständlichen nnd schwer verständlichen Zeichen sind vermieden; nur Folgendes wolle bemerkt werden:
schwankende Aussprache des Pokals, z. B. Vergröberung des a gegen o ist bezeichnet: Scha'f; ungewohnte Diphthonge tragen
eine Klammer, höüß; der griechische Circumflex ist das Zeichen der Nasaliruug, Ma'(Mann), Stöa (Stein); der gewöhnliche
Apostroph bezeichnet den Ausfall eines beliebigen Lautes: a'fa'r'u (abfahren): der verkehrte den Ausfall eines r: Staua'
(Steiner, für hochdeutsch Steine), ltaba' (lieber).
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Wien und Niederösterreich, 2. Abteilung: Niederösterreich, Band 4
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Wien und Niederösterreich, 2. Abteilung: Niederösterreich
- Band
- 4
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1888
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 17.75 x 26.17 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch
Inhaltsverzeichnis
- Landschaftliche Schilderungen aus Niederösterreich 3
- Zur Vorgeschichte Niederösterreichs 123
- Zur Geschichte Niederösterreichs 145
- Zur Volkskunde Niederösterreichs 183
- Die Architektur in Niederösterreich 263
- Burgen und Wohnstätten in Niederösterreich 287
- Malerei und Plastik in Niederösterreich 305
- Volkswirtschaftliches Leben in Niederösterreich 317