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Bei der Betrachtung der einzelnen Jndnstriegruppen fällt an erster Stelle die
Industrie in Nahrungs- und Gennßmitteln durch ihre mächtige Productiousziffer
(nahezu 53 Millionen Gulden) in die Augen; neben anderen Industriezweigen gehören zu
ihr anch die Mühlen- und die Brauindustrie, vvn denen namentlich die erstere für Nieder-
österreich sehr bedeutsam ist. Nicht weniger als 232 größere Mahlmühlen mit 800 Dampf-
uud über 4.600 Wasser-Pferdekräften, welche 1.220 Arbeiter beschäftigten, schufen allein
auf dem flachen Lande einen Prvductiouswerth von mehr als 23 Millionen Gulden, der
sich mit Hinzurechnung desjenigen der Wiener Mühlen auf 26'/, Millionen Guldeu
erhöht. Von den Mühlen des flachen Landes entfallen die meisten auf das Viertel unter
dem Wienerwald, besonders auf die Gerichtsbezirke Schwechat, Baden nnd Ebreichsdorf.
Aber die niederösterreichische Mühlenindustrie ist nicht allein durch ihren Uiusaug
ausgezeichnet, sie hat noch eine ganz andere Bedeutung, die weit über die Grenzen des
Kronlandes reicht: ihr dankt man die entscheidendsten Verbesserungen im Mahlverfahren,
welche als „Wiener Müllerei" überall in Aufnahme gekommen sind. Es ist nöthig, daß
wir bei diesem Ruhme Niederösterreichs ein wenig verweilen.
Die alten, aus der vorchristlichen Zeit stammenden Mühlen mit Wasserradbetrieb,
bei denen die Sichtung des Mehles von der Kleie durch Haudsiebe geschah, erhielten sich in
ihrem Bane wesentlich unverändert, nur daß seit dem XVI. Jahrhundert an Stelle der
Handsiebe Beutel aus Wolleutuch traten; das war die Einrichtung der „alten deutschen
Mühle", die uoch heute in den Bauern- oder Lohnmühlen zu siudeu ist. Mit der
Erfindung des Dampfes begann dann eine Periode der Umgestaltung, nnd zwar waren
es die Amerikaner, welche zuerst den Dampf als Betriebsmotor für Mühlen anwendeten
und die Mahlgänge derart einrichteten, daß nicht mehr jeder einzelne sein eigenes Wasserrad
hatte, sondern von einem Rade und einer Hanptwelle ans eine ganze Reihe von Mahl-
gängen oder Mühleu angetrieben wnrde. Zugleich trat an Stelle der schwerfälligen Holz-
eonstruetion Eisen und endlich vertauschte mau die bisherigen Bentelkasten mit selbstthätigen
Cylinderkasten. Solche mit Schueckeuwerkeu uud Auszügen versehene Mühlen nannte man
amerikanische Kuustmühlen.
Die Mehlerzengnng selbst hatte aber durch diese verbesserte« Einrichtungen noch
keinen Fortschritt gemacht, es wurde uach wie vor „flach" gemahlen. Eine entscheidende
Änderung traf hier erst zu Anfang nnseres Jahrhunderts der niederösterreichische Müller
Jgnaz Paur , der Begründer der sogenannten Gries- oder Hochmüllerei. Pcinr stellte die
Mühlsteine hoch, um viele Griese zu bekommen, ließ dann die Griese durch oftmaliges
Passiren der Steine immer wieder verkleinern, wobei eine sinnreich gebaute Putzmaschine
ihnen jedesmal die Kleie wegblies, bis zuletzt die ganz reinen und schönen Griese zu dem
seitdem so bekannt und beliebt gewordenen „Anszngmehle" vermahlen wnrden. Dieses
Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
Wien und Niederösterreich, 2. Abteilung: Niederösterreich, Band 4
- Titel
- Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild
- Untertitel
- Wien und Niederösterreich, 2. Abteilung: Niederösterreich
- Band
- 4
- Herausgeber
- Erzherzog Rudolf
- Verlag
- k.k. Hof- und Staatsdruckerei, Alfred von Hölder
- Ort
- Wien
- Datum
- 1888
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 17.75 x 26.17 cm
- Seiten
- 380
- Schlagwörter
- Enzyklopädie, Kronländer, Österreich-Ungarn
- Kategorien
- Kronprinzenwerk deutsch
Inhaltsverzeichnis
- Landschaftliche Schilderungen aus Niederösterreich 3
- Zur Vorgeschichte Niederösterreichs 123
- Zur Geschichte Niederösterreichs 145
- Zur Volkskunde Niederösterreichs 183
- Die Architektur in Niederösterreich 263
- Burgen und Wohnstätten in Niederösterreich 287
- Malerei und Plastik in Niederösterreich 305
- Volkswirtschaftliches Leben in Niederösterreich 317