Seite - 72 - in Radetzkymarsch
Bild der Seite - 72 -
Text der Seite - 72 -
die Arme ausbreitete und den Schlafrock auseinanderklaffen ließ. Sie
umarmten sich so, mit zwei flüchtigen Küssen, und gingen zusammen ins
Herrenzimmer. »Ichmöchte einen Schnaps!« sagte Herr Knopfmacher. Doktor
Demant öffnete den Schrank, sah eine Weile mehrere Flaschen an und wandte
sich um: »Ich kenn’ mich nicht aus«, sagte er, »ich weiß nicht, was dir
schmeckt.« Er hatte sich eine Alkoholauswahl zusammenstellen lassen, etwa
wie sich ein Ungebildeter eine Bibliothek bestellt. »Du trinkst immer noch
nicht!« sagte Herr Knopfmacher. »Hast du Sliwowitz, Arrak, Rum, Cognac,
Enzian, Wodka?« fragte er geschwind, wie es seiner Würde keineswegs
entsprach. Er erhob sich. Er ging (die Schöße seines Mantels flatterten) zum
Schrank und holte mit sicherem Griff eine Flasche aus der Reihe.
»Ich hab’ der Eva eine Überraschung machen wollen!« begann Herr
Knopfmacher. »Und ich muß dir gleich sagen, mein lieber Max, du warst den
ganzen Nachmittag nicht da. Statt deiner« – er machte eine Pause und
wiederholte: »Statt deiner hab’ ich hier einen Leutnant angetroffen. Einen
Dummkopf!«
»Es ist der einzige Freund«, erwiderte Max Demant, »den ich seit dem
Anfang meiner Dienstzeit beim Militär gefunden habe. Es ist der Leutnant
Trotta. Ein feiner Mensch!«
»Ein feiner Mensch!« wiederholte der Schwiegervater. »Ein feiner Mensch
bin ich auch zum Beispiel! Nun, ich würde dir nicht raten, mich eine Stunde
allein mit einer hübschen Frau zu lassen, wenn dir auch nur so viel an ihr
gelegen ist.« Knopfmacher legte die Spitze von Daumen und Zeigefinger
zusammen und wiederholte nach einer Weile: »Nur so viel!« Der
Regimentsarzt wurde blaß. Er nahm die Brille ab und putzte sie lange. Er
hüllte auf diese Weise die Umwelt in einen wohltuenden Nebel, in dem der
Schwiegervater in seinem Bademantel ein undeutlicher, wenn auch äußerst
geräumiger, weißer Fleck war. Und er setzte die Brille, nachdem sie geputzt
war, nicht sofort wieder auf, sondern er behielt sie in der Hand und sprach in
den Nebel hinein:
»Ich habe gar keine Veranlassung, lieber Papa, Eva oder meinem Freund zu
mißtrauen.«
Er sagte es zögernd, der Regimentsarzt. Es klang ihm selbst wie eine ganz
fremde Wendung, entnommen irgendeiner fernen Lektüre, abgelauscht einem
vergessenen Schauspiel.
Er setzte die Brille auf, und sofort rückte der alte Knopfmacher, deutlich an
Umfang und Umriß, an den Doktor heran. Jetzt schien auch die Wendung,
deren er sich soeben bedient hatte, sehr weit zurückzuliegen. Sie war
bestimmt nicht mehr wahr. Der Regimentsarzt wußte es genausogut wie sein
72
zurück zum
Buch Radetzkymarsch"
Radetzkymarsch
- Titel
- Radetzkymarsch
- Autor
- Joseph Roth
- Datum
- 1932
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- PD
- Abmessungen
- 21.0 x 29.7 cm
- Seiten
- 294
- Schlagwörter
- Roman, Geschichte, KUK, Österreich, Ungarn
- Kategorien
- Weiteres Belletristik